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Rebellen: Roman (German Edition)

Rebellen: Roman (German Edition)

Titel: Rebellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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Oberarmen flatterten.
    »Ich krieg dich«, zischte Moppel durch die Öffnung. »Ich krieg dich. Ich mach dich fertig.«
    Moppel presste.
    Paul drückte.
    Plötzlich ließ der Druck nach, und die Tür krachte zurück ins Schloss. Paul wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Es war nur eine Atempause, er wusste es. Moppel nahm nur erneut Anlauf.
    Das Fenster war nachts immer nur angelehnt, weil die Älteren dann an dem Fallrohr der Regenrinne hinabkletterten, in die Freiheit, wie sie sagten. Paul ging von der Tür weg zum Fenster und zog es weit auf. Dann stieg er aufs Fensterbrett. Mit einer Hand hielt er sich am Fensterkreuz fest und stellte einen Fuß draußen auf den steinernen Vorsprung. Es war schon dunkel, trotzdem sah er deutlich wie nie zuvor zehn Meter unter sich die Händelstraße, den Bürgersteig und den schmalen Grünstreifen.
    Wenn ich falle, bin ich tot.
    Mit der linken Hand griff er zum Fallrohr, das vom Dach bis hinunter auf den Boden führte. Doch er schaffte es nicht. Die Fingerspitzen berührten zwar das Blech, aber er konnte das Rohr nicht greifen.
    Er beugte sich noch ein Stück weiter vor. Es reichte nicht.
    In diesem Augenblick krachte die Tür auf. Moppel stürzte in den Vorraum der Toilette. Sein eigener Schwung ließ ihn straucheln, sein rechter Fuß knickte um, er ging in die Knie, fiel, aber noch in der Abwärtsbewegung wendete er den Kopf, suchte er sein Opfer wie ein Hund, der Blut gerochen hat. Moppel schlidderte ein kurzes Stück auf den Kacheln, sprang dann erstaunlich behände auf. Mit den kleinen, in Fettpolster eingelagerten Äuglein fixierte er Paul, der draußen auf dem Fenstervorsprung stand.
    »Spring doch, du Arschloch!« Er kam einen Schritt auf Paul zu. Gleich würde er ihn am Fuß packen.
    »Los, spring doch, wenn du dich traust.« Moppel ging noch einen Schritt auf das Fenster zu.
    Plötzlich schlotterte Pauls rechtes Knie. Er streckte es, er dehnte es, er verlegte das Gewicht auf das wackelnde Bein, doch es zitterte einfach weiter. Moppel stand direkt vor ihm. Er genoss die Angst, die Angst des Kleineren. Sie rief bei ihm weder Gnade noch Großherzigkeit noch Erbarmen hervor, sondern steigerte seinen Appetit.
    Paul sah es und sprang.

4. Paul
    Es hatte an Pauls erstem Tag im Waisenhaus begonnen. Er packte gerade seinen Koffer aus, stapelte seine Hemden in den Wandschrank, als Moppel vor ihm stand.
    »Du bist also der Neue?«
    Paul nickte und starrte Moppel an. Einen so fetten Jungen hatte er noch nie gesehen.
    »Was gibt es denn da zu glotzen? Ich bin Moppel, ich bin der Stärkste in der Gruppe.«
    »Ich bin Paul.«
    Ansatzlos schlug Moppel zu. Er traf Paul mit der Faust zwischen Oberlippe und Nase. Es blutete sofort. Paul schlug instinktiv zurück und traf Moppel genau auf die Nase. Eine Blutfontäne schoss aus dem Gesicht des fetten Jungen, stürzte übers Kinn aufs Hemd und versaute den Boden.
    Moppel schlug beide Hände vors Gesicht und rannte in den Waschraum. Paul hörte den Wasserstrahl. Er zog eins der großen Herrentaschentücher aus dem Koffer, die seine Mutter ihm mitgegeben hatte und die zuvor vermutlich seinem Vater gehört hatten, und wischte sich das Gesicht ab. Der weiche Stoff roch vertraut nach dem Waschmittel, das seine Mutter verwendete.
    Am Abend lag er in dem großen Schlafsaal, und Heimweh quälte ihn. Vierzehn Jungs, Bett an Bett. Alles hier erinnerte ihn an den Saal, in dem sein Vater gestorben war.Zwanzig andere hustende, keuchende, stinkende Männer, in dem großen Saal, den er immer nur widerstrebend betreten hatte, an der Hand seiner Mutter, die ihn unbarmherzig hinter sich herzog.
    Doch hier gab es keine Schwestern in weißen Kitteln, die ihn freundlich anlächelten. Hier gab es eine Erzieherin, Fräulein Wackenhut, und nach ihr war auch die Gruppe benannt: Gruppe Wackenhut. Mit seinen erbärmlichen zehn Jahren war Paul der Jüngste in der Gruppe. Der älteste Junge war fünfzehn. Fräulein Wackenhut stellte ihm jeden einzeln vor, aber er konnte sich kaum einen Namen merken.
    »Stimmt das, dass du dem Moppel die Nase blutig gehauen hast?«, flüsterte der Junge im Bett neben ihm. Werner. Das hatte er sich gemerkt.
    »Ja. Hab ich.«
    »Hat er verdient. Aber er wird dir bestimmt fürchterlich die Fresse polieren.«
    »Ich hab gar nichts gemacht. Er hat zuerst zugeschlagen.«
    »Weißt du, warum der Moppel Moppel heißt?«
    »Nein.«
    »Weil der so fett ist, dass er Moppeln hat wie ein Weib.«
    »Ruhe jetzt. Schlaft endlich.«

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