Rebellen: Roman (German Edition)
Stellung zurast, dorthin, wo er sie vermutet, erfasst ihn eine maßlose Wut.
Vor zwei Tagen hatte es im Casino eine Schlägerei gegeben. An diesem Abend spielte eine weiße Combo, und natürlich spielten sie wieder schwarze Musik. Der Saxophonist war ein kleiner, rothaariger Mann mit dickem Bauch und unzähligen feinen blauen Äderchen um die Nase. Bestimmt ein Ire, dachte Blackmore. Der Mann blies die Backen auf wie ein Ochsenfrosch aus dem Mississippi-Delta. Er versuchte, Charlie Parkers Stil zu imitieren, dessen halsbrecherisch schnelle Tonkaskaden zu spielen, aber es gelang ihm nicht. Er schwitzte, seine Finger kamen nicht mit, er überging einzelne Töne – alle schwarzen Soldaten bemerkten es mit Genugtuung: Parker war zu schnell für ihn.
Den weißen Jungs auf der Tanzfläche machte das nichts aus. Sie tanzten, lachten und schwangen die französischen Mädchen im Kreis, die gerne zu der Einladung auf den Luftwaffenstützpunkt gekommen waren, getrieben halb von Zuneigung zu den Befreiern, halb von ihrer Neugier auf den American Way of Life.
Als die Combo sich an »Groovin' High« wagte, stand plötzlich Sergeant Sonny Cotton, Blackmores schwarzer Bordmechaniker, mit seinem Saxophon vor der Bühne. Der Sänger der Band, der mit seinem dunklen, nach hinten gekämmten Haar wohl italienischer Abstammung war, sah ihn, reichte ihm die Hand und zog ihn auf die Bühne. Der kleine Ire trat sofort zur Seite und räumte den Platz vor dem Mikrophon.
Blackmore kneift die Augen zusammen und starrt durch das Glas des Cockpits. Die Sonne steht hell am Himmel. Er sieht die Flakstellung nicht. Wo stecken die Krauts?
Sobald Sonny vor dem Mikrophon stand, war er der Star auf der Bühne. Er hielt das Instrument eigentümlich abgewinkelt von seinem Körper, und er spielte wirklich Charlie Parker. Er beatmete mit seinem Saxophon die Combo. Die Töne kamen nun schnell und stoßweise. Der Schlagzeuger erwachte aus seiner Routine, konzentrierte sich, schlug schneller und härter. Der Trompeter wandte sich Sonny zu, suchte den musikalischen Dialog mit ihm, und mit einem kleinen Schwenk seines Instruments machte Sonny ihm den Weg frei für ein Solo. Der schwarze Saxophonist in der Ausgehuniform, die beige Krawatte lässig hinter dem zweiten Knopf im Uniformhemd versteckt, war der Mittelpunkt auf der Bühne. Instinktiv rückten die anderen Musiker näher zu ihm auf. Die Musik bekam den Swing, den sie brauchte, um nicht nur die Beine, sondern auch die Seelen der Tanzenden zu erreichen.
Blackmore bemerkte, wie der Tanzstil der Paare auf der Bühne sich änderte. Sie tanzten nun freier. Und schneller. Die Soldaten an den Tischen waren aufgesprungen und klatschten. Die Paare wirbelten auf der Tanzfläche. Die Kellner kamen nicht mehr durch das Gewühl. Blackmore erinnerte sich an seine besten Stunden in der Green Mill in Chicago, dem Lokal, das er manchmal aufsuchte, obwohl es im Norden der Stadt lag. Dort gab es keine Rassentrennung wie in der Army. Wenn dort die Musik diesen bestimmten Hitzegrad erreichte, dann fiel das unsichtbare Seil in der Mitte der Tanzfläche, das schwarze und weiße Besucher voneinander trennte, und die Paare und die Hautfarben mischten sich zu einem freien Durcheinander.
So war die Stimmung im Casino an diesem Abend vor zwei Tagen. Sie näherte sich dem Siedepunkt, und daher achtete niemand auf die vier weißen Soldaten, die im Hintergrund tuschelten, ohne den Blick von der Bühne zu wenden, sich besprachen und dann weitere Weiße zu sich riefen. Wie eine drohende Masse standen sie eine halbe Stunde später neben der Eingangstür und starrten zur Bühne, zu Sonny, der erneut Charlie Parker mit einem Solo huldigte. Weitere weiße Soldaten mit finsteren Gesichtern sammelten sich an der Tür, und als es zwanzig waren, die sich stark und betrunken genug fühlten, marschierten sie los, stießen die Tanzenden zur Seite, bahnten sich einen Weg zur Bühne. Ein paar Jungs auf der Tanzfläche und einige der französischen Mädchen protestierten, als sie von ihnen angerempelt wurden, aber sie tanzten weiter, als der Trupp an ihnen vorbei war.
Vor der Bühne griffen zwei nach Sonnys Hosenbeinen. Der blies immer noch sein Solo und bemerkte es nicht. Er schüttelte ein Bein, ohne hinzusehen, als könne er so einen lästigen kleinen Köter abwehren. Dann rissen sie an seinen beiden Beinen gleichzeitig, und Sonny ging zu Boden. Er versuchte, mit der ausgestreckten Rechten sein Saxophon in der Luft zu halten, um es beim
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