Rebellen: Roman (German Edition)
Sturz zu schützen. Doch kaum lag er auf dem Bretterboden, den rechten Arm mit dem blitzenden Instrument in die Luft gereckt, zogen sie ihn an den Füßen von der Bühne, und sein Kopf schlug hart auf den Boden. Die zwanzig bildeten einen Kreis um ihn, und jeder trat zu. Einer sprang mit beiden Füßen auf das Saxophon, auf Sonnys geliebtes Saxophon, seine Braut, wie er es nannte, und die Klappendeckel und andere Metallteile sprangen ab, als wollten sie flüchten. Der weiße Soldat, ein dünner, schmal bebrillter Kerl, den Blackmore schon einmal bei der Treibstoffversorgung gesehen hatte, sprang noch einmal, und unter seinen Stiefeln verformte sich der Trichter des Instruments zu sinnlosem Metall.
Ganz hinten, an der Wand, dort wo die schwarzen Soldaten saßen, fielen etliche Stühle um. Die schwarzen GIs waren aufgesprungen und rannten nach vorne, um ihrem Bruder zu helfen. Die Paare vor der Bühne tanzten nicht mehr; die französischen Mädchen kreischten oder redeten auf ihren Tanzpartner ein, sie sollen dem schwarzen Musiker helfen, der dort zu Tode getreten und geschlagen wurde.
Keiner der weißen Soldaten auf der Tanzfläche rührte auch nur einen Finger. Sie hatten den Kopf gesenkt und schwiegen, und die französischen Mädchen verstanden nicht, warum. Eines von ihnen warf sich von hinten auf einen der tretenden Soldaten, aber der schüttelte sie ab. Sie fiel zu Boden. Die schwarzen Soldaten erreichten den Kreis; einer hob die Frau auf, die anderen zogen die ersten Weißen von Sonny weg. Da flog die Tür auf, und vier Militärpolizisten rannten in den Saal. Mit gezückten Schlagstöcken. Der Sänger der Band gab den Musikern ein Zeichen, unsicher spielten sie einen schnellen Swing, dessen fröhliche Melodik die brutale Szene grotesk steigerte. Drei schwarze GIs hoben den übel zugerichteten Sonny hoch. Blackmore sah für einen Augenblick die dunkle, blutende Masse, die einmal sein Gesicht gewesen war. Irgendjemand gab dem Rest seines Saxophones einen Tritt, und es schlidderte unter die Bühne. Und nun geschah etwas, was Blackmore immer noch wie ein Wunder vorkam: Die französischen Mädchen lösten sich von ihren bisherigen Tanzpartnern. Sie wollten nicht mehr tanzen. Nicht mit den weißen Ärschen. Zuerst kam die junge Frau in dem grünen Chiffonkleid, die vorher versucht hatte, Sonny beizustehen, zu einem der schwarzen Soldaten. Ihre Freundin, die neben ihr stand und weinte, ein weißes Taschentuch gegen ihr rechtes Auge drückte, erriet ihre Absicht, reckte stolz den Kopf und ging ebenfalls auf einen der schwer atmenden schwarzen Soldaten zu: Would you dance with me, please? Dann begriff die nächste, dann noch eine – und schließlich gingen alle diese wunderbaren Frauen zu den schwarzen Soldaten, manche machten sogar einen Knicks, und baten sie um den nächsten Tanz.
Bis zum Morgen erzählten sich die schwarzen Soldaten diese Geschichte wieder und immer wieder.
Und nun diese verdammte deutsche Flak.
Da sieht er das Mündungsfeuer, und der gelbe Feuerball rast auf ihn zu.
Erster Teil
1. Es geht um eine Erbschaftssache
»Es geht um eine Erbschaftssache«, sagte der Mann.
Sie hatten sich im Vinum verabredet, einer modernen Trattoria im Stuttgarter Literaturhaus, direkt neben der Liederhalle. Es war 10 Uhr vormittags. Georg Dengler und sein Gegenüber waren die einzigen Gäste. Eine junge Frau war damit beschäftigt, schmale Glasvasen mit grün und blau gefärbtem Wasser und je einer Gerbera auf den Tischen zu verteilen. Der Mann schaute der Frau dabei zu.
Sie wandte ihnen den Rücken zu. Sie trug eng anliegende dunkelblaue Jeans. Dengler bemerkte, dass sie an den Oberschenkeln, den beiden Pohälften und im Schritt weiß gefärbt waren, als solle die Aufmerksamkeit auf diese Stellen gelenkt werden. Ihm fiel der Tierfilm ein, den er gestern Nachmittag im Fernsehen gesehen hatte. Die ranghöchsten Weibchen der Gorillas besitzen die markantesten Genitalien im Rudel und stellen sie gegenüber den anderen Weibchen zur Schau, um so ihre überlegene Stellung in der Horde geltend zu machen.
»Eine Erbschaftssache?«, fragte er dann.
Der Mann wandte den Kopf von der Frau ab und sah Dengler an.
»Eine merkwürdige Erbschaftssache«, sagte er und starrte wieder zu der jungen Frau hinüber.
Dengler wartete.
Der Mann zog, ohne den Blick von der Frau zu wenden, eine Visitenkarte aus seinem Jackett und schob sie über den Tisch.
»Wir haben telefoniert«, sagte er.
Dengler nickte.
Vor ein paar Tagen hatte
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