Rebellen: Roman (German Edition)
Georg Dengler eine Nachricht auf seinem Anrufbeantworter gefunden. Ohne seinen Namen zu nennen, hatte der Anrufer mit belegter Stimme mitgeteilt, dass er die Hilfe eines Privatdetektivs benötige, und seine Nummer hinterlassen. Als Dengler zurückrief, stellte der Mann sich als Robert Sternberg vor, und mit der gleichen belegten Stimme schilderte er nun hastig seinen Fall: In den Unterlagen seiner verstorbenen Mutter habe er einen Vertrag gefunden, einen Vertrag von 1947, in dem sein Großvater ein komplettes Hotel verschenkt habe. Die Familie habe beschlossen, einen Detektiv zu beauftragen, die Hintergründe dieser Transaktion zu ermitteln. Vielleicht könne man die Übertragung anfechten. Dengler hatte den Mann unterbrochen und mit ihm einen Termin verabredet. Robert Sternberg hatte das Vinum als Treffpunkt vorgeschlagen.
Und nun saß ihm der nervöse Sternberg gegenüber, der sich sichtlich unwohl fühlte und dessen unruhige braune Augen den Blickkontakt mit Dengler vermeiden wollten. Dengler musterte seinen neuen Klienten. Er mochte etwa vierzig Jahre alt sein. Feine Falten zeichneten sich auf seiner Stirn ab, und zwei große Furchen zogen sich rechts und links der Mundwinkel zum Kinn. Seine Haare waren dunkel und dünn. Sie hatten sich an den Schläfen deutlich zurückgezogen. Auch auf dem Hinterkopf sah Dengler eine kahle Stelle. Das Gesicht war massig, jedoch nicht von zu viel Fleisch: Der kantige Schädelbau verlieh Sternbergs Gesicht seine viereckige Form, und diese Physiognomie verstärkte einen Gesichtsausdruck, der missmutig und mit dem Leben unzufrieden wirkte.
Dengler räusperte sich und fragte: »Ihr Großvater hat also dieses Hotel, von dem Sie sprachen, verschenkt. 1947, sagten Sie? Haben Sie Ihren Großvater zu dieser Schenkung befragt?«
Sternberg sah Dengler irritiert an.
»Mein Großvater ist schon lange tot«, sagte er, »und letzte Woche starb auch meine Mutter. In ihren Unterlagen fanden wir den Vertrag.«
»Haben Sie ihn dabei?«
Robert Sternberg nickte und hob eine schweinslederne Aktenmappe auf seinen Schoß. Als er den Reißverschluss der Tasche aufzog, bemerkte Dengler, dass sich ein Schweißfilm auf seiner Handinnenseite gebildet hatte. Auch auf den beiden Nasenflügeln entdeckte er winzige Schweißperlen.
Mit einer schnellen Bewegung holte Sternberg eine Klarsichtfolie heraus und stellte die Tasche auf den Boden zurück. Aus dem durchsichtigen Umschlag zog er sorgfältig ein Schriftstück hervor und legte es vor sich auf den Tisch. Mit dem rechten Handrücken fuhr er zweimal über das Papier, als müsse er das Dokument glätten. Dengler bemerkte, wie der Handschweiß an zwei Stellen dunkle Flecken zurückließ.
Georg Dengler streckte die Hand aus. Der Mann zögerte einen Augenblick und schob ihm dann den Vertrag zu.
Die junge Frau hatte alle Vasen mit dem gefärbten Wasser verteilt. Sie kam an ihren Tisch und fragte nach ihrer Bestellung. Georg Dengler bestellte einen doppelten Espresso, Robert Sternberg einen Kaffee und einen Cognac. Der Vertragstext war erstaunlich kurz. Es ging darin um eine Immobilie, um das »Schlosshotel« in einem Ort namens Gündlingen. Dengler kontrollierte das Datum: 24. Juni 1947. Das Hotel wurde von dem bisherigen Eigentümer Volker Sternberg an einen Herrn Kurt Roth übertragen. Aber nicht Kurt Roth, sondern ein gesetzlicher Vertreter, so entnahm Dengler auch dem Kopf der Urkunde, hatte das Dokument unterzeichnet. Ein Mann namens Albert Roth. Also ein Verwandter des Begünstigten. Ein Vormund? Dengler prüfte die Personalangaben im Kopf des Vertrages und stieß einen leisen Pfiff aus: Das Geburtsjahr von Kurt Roth, dem Begünstigten, lautete »18. Februar 1932«, demnach war er zum Zeitpunkt der Schenkung erst 15 Jahre alt, was die Einsetzung eines gesetzlichen Vertreters erklärte. Aber – Dengler studierte noch einmal die Personendaten – warum überträgt ein 36 Jahre alter Mann, Volker Sternberg, einem 15-Jährigen ein Hotel?
Er blätterte in den drei vergilbten Seiten. Ein Kaufpreis oder sonst eine Gegenleistung waren aus dem Vertrag nicht zu ersehen. Unter »Sonstige Vereinbarungen« las er: »Dieser Vertrag ist nur solange gültig, wie die in Zusatzvereinbarung 1 aufgenommenen Verpflichtungen von beiden Parteien eingehalten werden.«
»Wo ist diese Zusatzvereinbarung?«, fragte Dengler. »Wissen wir nicht. Eine solche Vereinbarung haben wir nicht gefunden, und wir wissen auch nicht, was drinsteht.«
»Wir?«
»Meine Schwester und ich.
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