Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)
zu retten? Sich selbst?«
Sie hatte das verwirrende Gefühl, dass er sie mit Blicken taxierte, jedes stramm verschnürte Detail mit vernichtender Vertraulichkeit studierte, vom Haarknoten bis zu den praktischen halbhohen Stiefeletten, dass er darunter sah – mehr noch, sogar hindurch -, bis in die Seele jener windverrückten Frau, die den stickigen Empfangszimmern und Salons Rushworth Manors entflohen war, um über die entlegensten Felder ihrer Pächter zu galoppieren. Immer noch mehr Ungehörigkeiten , sagte sie sich, doch etwas ließ sie die Zunge im Zaum halten, während er sinnend und zielsicher fortfuhr.
»Ich glaube, Sie bezahlen schon längst mit Ihrem Körper und betrügen sich jeden Tag selbst, wenn Sie sich in Ihr unsägliches Korsett und Ihre hochgeschlossenen Kleider zwängen.« Seine Stimme senkte sich schmeichelnd. »Alles, worum ich bitte, ist eine Woche – eine einzige Woche mit einer anderen Art des Selbstbetrugs. Und wer weiß? Vielleicht entdecken Sie dabei noch Ihr wahres Selbst.«
»Euer Gnaden!«, keuchte Victoria, aber eher aus Reflex als vor Schreck, denn sie schaffte es nicht, sonderliches Entsetzen in ihre Stimme zu legen. Derartige Ansinnen hatten sie nie wirklich schockiert, aber im Augenblick war sie nicht einmal beleidigt. Wider besseren Wissens zog der mysteriös laszive Duke of Raeburn sie an, und wahnsinnig, wie sein Vorschlag war, erschien er doch eher verlockend als abstoßend. Sie war schließlich hergekommen, um ihrer Familie eine Schmach zu ersparen, und genau das hatte der Duke ihr angeboten. Und der Preis – der Preis war so gering, dass die Bedeutungslosigkeit sie schockierte.
Wann hatte der komplizierte Tanz der Gesellschaftspolitik begonnen, sie zu verdrießen? Seit wann empfand sie ihre Ambitionen, die Grafschaft zu führen, als Einschränkung? Sie hatte ihr ganzes Leben diesem Ziel untergeordnet, und jetzt, da sie es in der Hand hatte, schien es ihr bedeutungslos im Vergleich zu jener ungezügelten, ziellosen Sehnsucht, die sie immer schon in sich getragen hatte. Jetzt kochte die Sehnsucht hoch, und sie stand überwältigt und sprachlos vor ihrem plötzlichen, unbedingten Wunsch nach... Freiheit . Sie schüttelte den Kopf. Es musste der Sturm sein, der ihre Unbändigkeit anstachelte, der Jahre an Erfahrung fortwehte und ein Ungestüm freisetzte, das sie mit ihrer Jugend begraben geglaubt hatte.
Raeburn sprach weiter, senkte verführerisch die Stimme. »Überlegen Sie. Eine Woche, und ich werde Gifford gestatten, mich nach Belieben zu bezahlen, sobald er geerbt hat. Sie kehren als Heldin zurück, und keiner außer uns beiden wird je von dem Handel erfahren.«
»Und wie viel von dieser Woche wird Ihnen gehören?« Sie konnte selbst kaum glauben, dass sie über sein absurdes Angebot nachzudenken schien, welche wahnhaften Begierden auch immer durch ihre Adern pochten.
Raeburn lachte vollmundig. »Jeder Moment wird mir gehören, aber falls Sie sich fragen sollten, wie viel Zeit Sie in meinem Bett verbringen werden, dann lautet die Antwort, so viel ich will.«
Victoria versuchte die Hitze zu unterdrücken, die ihr ins Gesicht stieg. Der unverhohlene Hunger in seiner Stimme ließ ihren Bauch und das, was darunter lag, reagieren und regte ihren Verstand und ihre Fantasie an. Sie versuchte das ruchlose Verlangen zurückzuhalten, das ihr einreden wollte, die Gelegenheit beim Schopf zu packen – nicht ihres Bruders Jack oder Rushworths wegen, sondern ihretwegen. Wie würde es sich anfühlen, wenn der Duke sie berührte? Wie würde es sich anfühlen, nach so langer Zeit wieder in den Armen eines Mannes zu liegen? Obwohl er im Ruf stand, ausschweifend zu sein, hatte sie nie flüstern hören, dass ein Techtelmechtel mit dem Raeburn je nicht erfreulich gewesen wäre, und sie hatte sich sicher ein paar Freuden verdient, an die sie in ihren alten Tagen zurückdenken konnte. Das sagte sie sich jedenfalls, und ihre zynischen Überlegungen hatten nichts damit zu tun, dass ihr der Herzschlag laut in den Ohren dröhnte.
Sie hatte ihre Entscheidung getroffen, erinnerte sie sich und verdrängte die Wärme und die Rastlosigkeit, die sie überkommen hatten. Aber was, wenn sie, nur für eine Woche, die Alternative erproben konnte? Sie zählte die Tage, die seit ihrer letzten Monatsblutung vergangen waren; selbst wenn sie siebzehn gewesen wäre, hätte kaum die Chance bestanden, schwanger zu werden. Nicht dass eine Siebzehnjährige irgendetwas vom Tagezählen gewusst hätte. Sie
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