Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)
Gesicht zu. »Es ist das Verrückteste und Unvernünftigste, das ich in meinem verrückten, unvernünftigen Leben je getan habe, aber ich glaube nicht, dass ich es jemals bereuen werde.«
Ein Anflug von Vernunft störte sein Glück. »Du weißt, dass es keine Mittel gegen meine Erkrankung gibt.« Seine Stimme war belegt, weil es ihn schmerzte, es einzugestehen. »Ich werde mich von Merrick mit tausend sinnlosen Mittelchen plagen lassen, wenn du darauf bestehst, aber die Erfolgsaussichten sind schlecht, sehr schlecht. Du wirst dich einem Leben in Dunkelheit verschreiben.«
»Nein«, sagte sie und legte die Hand an seine wunde Wange. »Dicke Vorhänge kann man genauso gut aufziehen wie zuziehen. Aber auch wenn es stimmt, was du sagst, es würde mich nicht stören. Du bist alle Sonne, die ich brauche.«
Etwas Dunkles und Schreckliches in ihm zerbrach; etwas, das so tief in seiner alten harten Verbitterung verwurzelt gewesen war, dass er es nicht mehr als Fremdkörper empfunden hatte – bis zu jenem Moment, als es zerbarst. Und das Gefühl süßen Trosts füllte die Leere, die es hinterlassen hatte, verschlug ihm den Atem und ließ ihm vor Staunen die Kehle eng werden.
»Du bist mein, Victoria. Auf immer mein.«
Er küsste sie, zog sie an sich und trank die Regentropfen von ihren Lippen, und die Feuchtigkeit mischte sich alsbald mit dem salzigeren Nass von Tränen, seinen oder ihren oder ihrer beider. Er wusste es nicht. Und es war ihm auch egal.
Er folgte mit der Zunge der fast unmerklich unebenen Linie ihrer Zähne. Er würde nie genug von ihren Zähnen bekommen, dachte er, ungläubig und schwindlig. Ihr Mund war heiß, einladend, insistierend, so wunderbar und ganz Victoria, dass der Geschmack ihn trunken machte. Ihre Finger gruben sich in sein Haar, und er sehnte sich danach, sich zwischen ihren Beinen zu vergraben und ihre Feuchtigkeit über ihre Haut zu verschmieren, bis die Luft von ihrem dunklen Duft schwer war. Dann würde er sie küssen, ihr feuchtes Fleisch schmecken, ihre dummen Haarnadeln herausziehen und die hellen Locken auf seine Haut fallen lassen, alles sein...
Ihr bandagierter Knöchel schlug an sein Bein und holte ihn zurück. Er löste sich seufzend von ihr. »Dass wir verlobt sind, heißt nicht, dass deine Mutter dich nicht mehr braucht.«
»Nein, das heißt es nicht«, sagte sie ernüchtert. Ihre hellen klaren Augen trafen die seinen. »Ich habe immer noch einen Zug zu erreichen. Aber ich schwöre, dass ich so schnell zurückkomme, wie ich kann, und nur einmal kurz innehalte, um dir vorab zu schreiben, damit du zu meiner Ankunft den örtlichen Pfarrer auftreiben kannst.«
Der Gedanke, sie gehen zu lassen, auch wenn nur für kurze Zeit, schmerzte ihn zutiefst, aber er erwiderte ebenso leichthin: »Wenn mir auch nur der Verdacht kommt, du könntest eine Minute länger als nötig fortbleiben, werde ich dich ausfindig machen und verlangen, dass du dein Versprechen in der nächstbesten Kirche einlöst – sei es bei den Dissidenten, den Quäkern oder den Katholiken.«
»Sogar in London?« Sie zog eine Augenbraue hoch, und um ihren Mundwinkel spielte ein Lächeln.
Er zog sie noch fester an sich. »Gerade in London, Circe. Gerade in London.«
Epilog
April 1866
Die Dämmerung nahte und entzündete die verwehten Sturmwolken zu rotem Leuchten. Victoria lehnte im Schatten der Schäferhütte an der Brust ihres Ehemanns und hielt den Brief in Händen, den Fane ihr überbracht hatte, als sie zu ihrem Ritt durch den Regen aufgebrochen waren.
Mutter schrieb, dass es ihr immer noch gut ginge. Sie hatte sich schnell von den Anfällen erholt, die vor eineinhalb Jahren ihre Sprache undeutlich hatten werden lassen, ihre Hände zittrig und ihren Geist unstet. Sie regte sich wie üblich über Jacks neueste Eskapade auf. Victoria konnte sich nicht dazu durchringen, sich deswegen Sorgen zu machen. Sie liebte ihren Bruder – so sonderbar es war, das feststellen zu müssen -, aber Jack war alt genug, seine Entscheidungen selbst zu treffen und die entsprechenden Folgen zu tragen, auch wenn es den guten Namen der Familie beschmutzte.
»Also, was hat dieser Taugenichts diesmal wieder angestellt?« Byrons Stimme vibrierte, was so beruhigend wie vertraut war.
Victoria lachte. »Du kennst meine Mutter viel zu gut, obwohl du sie nur ein einziges Mal gesehen hast.«
»Ich brauche sie nicht zu kennen, denn ich kenne deinen Bruder«, schnaubte Byron.
»Ihm steht eine Anklage ins Haus, weil er irgendwelche
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