Rebellin unter Feen
der Schweigekrankheit zum Opfer fallen. Stimmt Ihr mir zu?«
»Ja«, sagte Amaryllis und verschränkte die Arme. »Sprich weiter.«
»Doch Paul und ich brauchen einander ebenfalls«, fuhr Klinge fort, »und die Eichenfeen brauchen Hilfe, die sie nur von den Menschen bekommen können. Ihr habt Pechnelke gesehen. Baldriana meinte, ich hätte sie geheilt, aber das war nicht wirklich ich. Heides Geschichte hat sie zurückgeholt, denn sie erfuhr daraus Dinge, die sie noch nicht wusste – neue, wissenswerte Dinge und Gedanken. Die Tagebücher werden aber nicht allen helfen können und selbst wenn, wäre diese Hilfe nicht ausreichend. Wir brauchen noch viel mehr neue Ideen, um zu verhindern, dass auch wir anderen wie Pechnelke in der Verzweiflung versinken.«
Pauls Augen leuchteten auf. Er begann zu verstehen, worauf Klinge hinauswollte. »Ihr braucht deshalb einen Vermittler«, sagte er, »jemanden, der Verbindungen zu beiden Welten hat und euch mit dem Wissen der Menschen versorgen kann.«
Klinge nickte. »Und darüber hinaus jemanden, der die Eiche vor Unglück und ihre Bewohner vor Raubtieren schützen und die Eichenwelt wieder zu einem sicheren Ort machen kann. Ich habe das als Fee nach Kräften versucht, aber ich weiß jetzt, dass ich es als Mensch noch viel besser könnte.«
Amaryllis öffnete ungläubig den Mund. »Eine königliche Jägerin, die ein Mensch ist?«
»Warum nicht?«, mischte sich Paul wieder ein. »Klinge hat recht – wir Menschen können Krähen viel leichter töten oder verscheuchen als ihr Feen. Und Klinge könnte ja weiter für euch jagen. Sie könnte mit Fallen Kaninchen fangen, Pflanzen sammelnund euch sogar Sachen aus dem Haus bringen. Und auch ich kann euch helfen. Ich kann euch alles beschaffen, was ihr wollt oder braucht – Metall, Stoff oder Papier. Ich zeige euch auch gern das Haus, wenn meine Eltern weg sind, und bewirte euch mit Tee und Keksen, wenn euch danach gelüstet.« Seine Mundwinkel zuckten. »Und ich werde niemandem erzählen, dass es euch gibt, und auch nichts tun, was eure Sicherheit gefährdet. Darauf schwöre ich einen Eid, wenn Ihr das wollt.«
Die Königin hielt den Kopf gesenkt und schwieg. Dann sagte sie: »Ich muss mit Klinge sprechen, aber allein.«
»Was habt Ihr mir zu sagen?«, fragte Klinge und folgte Amaryllis zum Fuß der Eiche. Sie warf einen Blick über die Schulter. Paul stand mit seinem Rollstuhl auf dem Rasen und wartete angespannt. »Wollt Ihr unserem Plan die Zustimmung verweigern?«
»Nein«, antwortete Amaryllis kurz und wandte sich ihr zu. »Aber ich kann dein Angebot erst annehmen, wenn ich überzeugt bin, dass ihr beide wisst, wovon ihr sprecht. Es soll niemand behaupten können, ich hätte euch übervorteilt.«
»Ich weiß, was ich tue«, rief Klinge ungeduldig. »Wir wissen es beide. Wir verschwenden nur unsere Zeit …«
»Dann sei so nett und falle mir nicht ständig ins Wort!«, sagte Amaryllis barsch. Klinge wurde rot. »Dich in einen Menschen zu verwandeln ist keine leichte Aufgabe, Klinge. Ich werde dazu die ganze Zauberkraft brauchen, die ich von Jasmin habe, und einen Teil meiner eigenen, den ich nur schwer entbehren kann. Wenn du deine Entscheidung hinterher bereust, werde ich dir nicht helfen können. Du wirst für immer in deiner menschlichen Gestalt eingesperrt sein. Ist dir das klar?«
Klinge nickte.
»Du verlierst deine Flügel, deinen alterslosen Körper und deinmagisches Erbe. Du wirst die Eiche nicht mehr betreten können und wirst auf der ganzen Welt keine Heimat mehr haben, nur noch Paul und das, was er dir gibt. Die magische Kraft, die dem Band zwischen euch möglicherweise anhaftet, wird sich auflösen, und nichts kann dir garantieren, dass er deiner nicht eines Tages überdrüssig wird und dich verstößt. Doch so lange die Eichenfeen dich brauchen, musst du hier leben und kannst diesen Ort nicht verlassen.« Sie legte Klinge die Hand auf den Arm. »Glaube nicht, dass du deinem bisherigen Leben entfliehen kannst. Wenn du glaubst, die Verwandlung in einen Menschen würde dir zu mehr Freiheit verhelfen, als die Eiche dir bieten kann, wirst du, so fürchte ich, enttäuscht werden.«
»Ich habe früher geglaubt, ich wüsste, was Freiheit ist«, sagte Klinge. »Nämlich zu tun, was ich will, mich frei zu bewegen und von niemandem abhängig zu sein. Doch jetzt …« Sie hob entschlossen den Kopf. »Ich weiß, dass die Zukunft nicht leicht sein wird. Trotzdem bleibe ich bei meiner Entscheidung.«
Amaryllis nickte
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