Red Rabbit: Roman
Zigarettenstummel im Aschenbecher neben der Pforte aus und ging zum Fahrstuhl, der erstaunlicherweise mit geöffneter Tür bereitstand, als warte er auf ihn.
»Guten Abend, Genosse Zaitzew«, grüßte der Fahrstuhlführer, ein versehrter Veteran des Großen Vaterländischen Krieges, ehemaliger Artillerist und mit etlichen Orden ausgezeichnet, wie er behauptete. Wahrscheinlich war er jetzt ein Informant, der irgendeinen anderen KGB-Spitzel über ungewöhnliche Vorkommnisse in diesem Haus zu unterrichten hatte, wofür er ein mickriges Zubrot zu seiner dürftigen Pension von der Roten Armee bekam.
»Guten Abend, Genosse Glenko.«
Glenko steuerte den Fahrstuhl nach oben und öffnete die Tür. Zaitzew hatte nur noch fünf Schritte bis zu seiner Wohnung.
Als er die Wohnungstür öffnete, schlug ihm der Geruch gedünsteten Kohls entgegen. Es würde also Kohlsuppe zum Abendessen geben. Wie so oft – sie gehörte zur russischen Standardkost. Dazu gab es Schwarzbrot.
»Papa!« Oleg Iwanowitsch beugte sich nach vorn, um die kleine Swetlana in den Arm zu nehmen. Sie, das Kind mit dem Engelsgesicht und dem strahlenden Lächeln, war sein Ein und Alles.
»Wie geht’s meiner kleinen zaichik, meinem kleinen Häschen, denn heute?« Er hob sie vom Boden auf und ließ sich von seinem Schatz einen Kuss geben.
Wie alle Kinder ihres Alters besuchte Swetlana eine so genannte Kinderkrippe, eine Art Hort oder Vorschule. Sie trug einen grünen Pullover, eine graue Hose und kleine rote Lederschuhe – eine für russische Verhältnisse ungewöhnlich bunte Kleidung. Dass er in den »exklusiven« Läden einkaufen konnte, kam vor allem seinem Mädchen zugute. In der Sowjetunion gab es nicht einmal Stoffwindeln für Säuglinge, geschweige denn Wegwerfwindeln – Mütter behalfen sich meist mit alten, zurechtgeschnittenen Bettlaken. Verständlich, dass die Eltern gesteigerten Wert darauf legten, dass die Kleinen möglichst früh »sauber« waren. Zur großen Erleichterung ihrer Mutter ging Swetlana schon seit einiger Zeit von sich aus aufs Töpfchen.
»Hallo, Liebling«, grüßte Irina Bogdanowa, als ihr Mann die Küche betrat. Sie stand am Herd und kochte Kohl und Kartoffeln. Hoffentlich auch ein bisschen Speck, dachte er. Tee und Brot. Wodka gab es erst später. Die Zaitzews tranken gern, aber in Maßen. Meist warteten sie, bis Swetlana in ihrem Bett lag. Irina arbeitete als Buchhalterin im Warenhaus GUM. Mit ihrem Diplom von der Moskauer Staatsuniversität war sie nach westlichen Vorstellungen durchaus emanzipiert, doch von Unabhängigkeit konnte auch bei ihr keine Rede sein. Am Küchentisch hing das Einkaufsnetz, das sie, wenn sie aus dem Haus ging, immer bei sich hatte – in der Hoffnung, irgendein günstiges Angebot zu finden, das ein wenig Abwechslung auf die Teller brachte oder die triste Wohnung ein bisschen schöner machen konnte. Dafür musste sie sich allerdings stets in eine lange Warteschlange einreihen. Dies gehörte, wie die Arbeit im Haushalt, zur Aufgabe einer jeden Frau in der Sowjetunion, unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Stellung. Vom Job ihres Mannes hatte Irina keine Ahnung. Sie wusste nur, dass er für die Staatssicherheit arbeitete, ein ordentliches Einkommen bezog, eine Uniform hatte, die er aber selten trug, und demnächst auf eine Beförderung hoffen durfte. Er schien also seine Arbeit, worin auch immer sie bestand, gut zu tun, und das zu wissen reichte ihr. Als Tochter eines Infanteristen im Großen Vaterländischen Krieg hatte sie eine gute Schulausbildung genossen und ausgezeichnete Leistungen erbracht, doch ihre beruflichen Träume waren nicht in Erfüllung gegangen. Ihr musikalisches Talent hatte nicht gereicht, um am staatlichen Konservatorium studieren zu können. Gescheitert waren auch alle Versuche, sich als Schriftstellerin einen Namen zu machen. Sie war eine recht hübsche Frau, für russische Maßstäbe vielleicht ein wenig zu dünn. Das braune Haar, auf dessen Pflege sie großen Wert legte, fiel ihr bis auf die Schultern. Sie las viel, war in ihrer Lektüre aber durchaus wählerisch, und hörte gern klassische Musik, vor allem Tschaikowsky. Manchmal ging sie mit ihrem Mann ins Konzert. Oleg war jedoch eher ein Freund des Balletts. Dass sie dafür Karten bekamen, hatte wohl, wie Irina vermutete, mit seinem Job am Lubjanka-Platz Nummer 2 zu tun. Aber noch war seine berufliche Stellung nicht wichtig genug, als dass er auch zu den Partys und Empfängen der höheren Kader eingeladen worden
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