Red Rabbit: Roman
Und das traf, wie er fand, auch auf ihre Spionage zu. Offenbar war
alles bis ins Kleinste in einem großen Buch niedergeschrieben, und alle hatten sich danach zu richten.
Foley stieg in einen U-Bahnwagen und sah die Augen sämtlicher Passagiere auf sich gerichtet. Seine Kleidung kennzeichnete ihn als Ausländer, und zwar ebenso unzweifelhaft, wie der Heiligenschein einen Heiligen auf einem Renaissancegemälde kennzeichnete.
»Wer sind Sie?«, fragte jemand zu seiner Überraschung.
»Wie bitte?«, entgegnete Foley mit starkem Akzent.
»Ah, Sie sind Amerikaner.«
»Da , so ist es. Ich arbeite in der amerikanischen Botschaft. Mein erster Tag heute. Ich bin erst vor kurzem in Moskau angekommen.« Offen und ehrlich zu sein war die einzig sinnvolle Möglichkeit, die sich ihm bot, unabhängig davon, ob er es mit einem Beschatter zu tun hatte oder nicht.
»Wie gefällt’s Ihnen hier?«, wollte der andere wissen. Er sah aus wie ein Büroangestellter – durchaus möglich, dass er dem KGB angehörte, vielleicht als fest angestellter Agent oder auch als freier Mitarbeiter. Aber vielleicht war er auch nur Buchhalter in irgendeinem staatseigenen Unternehmen und einfach neugierig. Solche Typen gab es. Ein durchschnittlicher Bürger würde ihn allerdings wohl kaum angesprochen haben, dachte Foley. Die allgemeine Stimmungslage begrenzte die natürliche Neugier auf den Raum zwischen beiden Ohren. Amerikaner aber erregten bei Russen eine Neugier, die über das natürliche Maß hinausging. Ständig gesagt zu bekommen, dass man Amerikaner missbilligen und meiden müsse, hatte dazu geführt, dass sie für viele Russen das ausmachten, was Eva an dem Apfel gereizt hatte.
»Die Metro ist sehr beeindruckend«, antwortete Foley und sah sich interessiert um.
»Aus welcher Stadt in Amerika kommen Sie?«, lautete die nächste Frage.
»New York City.«
»Wird in Amerika Eishockey gespielt?«
»Oh ja! Ich bin seit meiner Kindheit ein Anhänger der New York Rangers und schon ganz gespannt darauf zu sehen, wie hier in Moskau gespielt wird.« Auch das entsprach der Wahrheit. In der Welt des Sports war die russische Art, Eishockey zu spielen, nicht
minder ruhmreich wie Mozart in der Welt der Musik. »Heute habe ich erfahren, dass für Botschaftsangehörige immer gute Plätze reserviert werden. Wenn ZSKA spielt«, fügte er hinzu.
»Bah!«, schnaubte der Moskowiter. »Ich bin Fan von Spartak.«
Der Typ könnte echt sein, dachte Foley überrascht. Die Russen waren, wenn es um ihre Eishockeymannschaften ging, mindestens ebenso wählerisch wie amerikanische Baseball-Fans in Bezug auf ihre Teams. Aber vielleicht hatte das Zweite Hauptdirektorat ja auch Eishockeyfans im Kader. »Übervorsichtig« war allerdings eine Maxime, an die er sich nicht halten mochte, schon gar nicht hier.
»ZSKA Moskau ist doch Meister, oder?«
»Aber viel zu brav. Deshalb haben sie in Amerika auch diese Abreibung bekommen.«
»Wir pflegen in Amerika ein sehr… körperbetontes Spiel. Ist das das richtige Wort? Unsere Spieler müssen Ihnen wie Hooligans vorkommen. Ist doch so, oder?« Foley war mit dem Zug nach Philadelphia gefahren, um sich das Spiel anzuschauen. Die Flyers – besser bekannt als die Broad Street Bullies – hatten den etwas blasiert wirkenden russischen Gästen das Fell über die Ohren gezogen, sehr zu seinem Vergnügen. Das Team von Philadelphia hatte sogar mit seiner Geheimwaffe aufgewartet, der alternden Kate Smith, die »God Bless America« durch die Lautsprecher schmetterte, was die Spieler so heiß machte, dass unter ihren Kufen das Eis zu schmelzen drohte. Mann, was war das für ein Spiel gewesen!
»Sie spielen rau, ja, aber das sollen sie doch auch. Die Spieler von ZSKA halten sich für Bolschoi-Tänzer. Es gefällt mir, wenn die mal eins auf den Deckel bekommen.«
»Ich erinnere mich an die Olympischen Spiele von 1980. Für mich war’s wirklich ein Wunder, dass wir die fantastisch gute Mannschaft aus der Sowjetunion geschlagen haben.«
»Ein Wunder? Bah! Unser Trainer hat geschlafen. Die ganze Mannschaft hat geschlafen. Ihre Jungs haben begeisternd gespielt und deshalb verdient gewonnen. Unseren Trainer hätte man an die Wand stellen sollen.« Ja, das waren die Worte eines echten Fans.
»Ich will, dass mein Sohn hier Eishockey spielen lernt.«
»Wie alt ist er?«, fragte der Fremde interessiert.
»Viereinhalb«, antwortete Foley.
»Genau das richtige Alter, um damit anzufangen. Es gibt in Moskau viele Möglichkeiten für
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