Red Rabbit: Roman
hatte den Wagen schon am Vorabend bestellt. Der Chauffeur war ein gewisser Edward Beaverton. Er machte für jemanden, der bereits vor 7:00 Uhr morgens arbeiten musste, einen geradezu unnatürlich aufgekratzten Eindruck.
»Morgen«, sagte Jack. »Das ist meine Frau, die schöne Frau Dr. Ryan.«
»Hallo«, grüßte der Fahrer. »Sie sind Chirurgin, wenn ich richtig verstanden habe.«
»Ja, Ophthalmologin …«
Jack fiel ihr ins Wort. »Sie schneidet Augäpfel auf und näht sie wieder zusammen. Das sollten Sie sich einmal ansehen, Eddie, wirklich toll, wie sie das macht.«
Der Fahrer verzog das Gesicht. »Vielen Dank, Sir, lieber nicht.«
»Lassen Sie sich nicht verunsichern«, sagte Cathy. »Mein Mann ist selbst ein viel zu wehleidiger Waschlappen, als dass er bei einer Operation zusehen würde.«
»Was ich gut verstehen kann, Madam. Besser, einem Chirurgen zu tun zu geben, als selbst unterm Messer zu liegen.«
»Wie bitte?«
»Sie waren früher bei den Marines, nicht wahr?«
»Ja. Und Sie?«
»Bei den Fallschirmspringern. Da hat man uns beigebracht: Auszuteilen ist besser als einzustecken.«
»Das würden die meisten Marines wohl ganz ähnlich sehen«, antwortete Ryan grinsend.
»Im Krankenhaus lernt man jedenfalls etwas anderes«, entgegnete Cathy.
In Rom war es schon eine Stunde später. Oberst Goderenko, offiziell der Stellvertreter des sowjetischen Botschafters in Rom, widmete seinen diplomatischen Verpflichtungen zwei Stunden am Tag. Sehr viel mehr Zeit verlangte seine Aufgabe als Agent, also als Leiter der KGB-Station in Rom. Er hatte jede Menge zu tun. Als wichtiger Kommunikationsknotenpunkt der NATO war Rom natürlich ein überaus interessantes Revier für Geheimdienste. Goderenko und seine sechs voll- beziehungsweise teilzeitbeschäftigten Mitarbeiter führten insgesamt 23 Spitzel – Italiener (und ein Deutscher), die die Sowjetunion aus politischen oder pekuniären Gründen mit Informationen versorgten. Es wäre wohl besser gewesen, wenn ihnen ausschließlich ideologische Gründe am Herzen gelegen hätten, aber eine solche Motivation gehörte mehr und mehr der Vergangenheit an. In der Bonner Agentur herrschte eine sehr viel günstigere Arbeitsatmosphäre. Deutsche blieben sich immer treu, und es gab keinen Mangel an solchen, die ziemlich schnell davon zu überzeugen waren, dass es edler sei, den Brüdern und Schwestern in der DDR zu helfen, als für Amerikaner, Briten und Franzosen zu arbeiten, die sich Alliierte des eigenen Landes nannten. Für Goderenko und seine Landsleute würden Deutsche, gleichgültig welcher politischen Einstellung, niemals wirklich Verbündete sein. Allerdings eignete sich das Feigenblatt des Marxismus-Leninismus bisweilen als eine durchaus taugliche Verkleidung.
In Italien war alles anders. An Mussolini erinnerte sich kaum einer mehr, und diejenigen, die ihren Glauben an den Kommunismus noch nicht verloren hatten, interessierten sich inzwischen mehr für Wein und Pasta als für den revolutionären Marxismus.
Ausgenommen natürlich die Banditen der Roten Brigade, doch das waren keine politisch zuverlässigen Verbündeten, sondern vielmehr gemeingefährliche Hooligans – aber trotzdem nicht ohne Gebrauchswert. Für manche von ihnen arrangierte Goderenko ab und zu Reisen nach Russland, wo sie dann politische Theorie studierten oder auch handfeste Nachhilfe in taktischer Kriegsführung bekamen.
Auf seinem Schreibtisch lag ein kleiner Stoß von Eingängen, die sich über Nacht angesammelt hatten, zuoberst der Durchschlag einer Nachricht aus der Moskauer Zentrale. Eine dringliche Sache, wie es in der Kopfzeile hieß, die außerdem die Nummer des Chiffrierbuchs spezifizierte. Das Buch befand sich im Safe in der Anrichte hinter seinem Schreibtisch. Er brauchte sich nur mit seinem Drehstuhl herumzudrehen, das Alarmsystem zu deaktivieren und das Kombinationsschloss einzustellen, was in wenigen Sekunden geschehen war. Auf dem Buch lag seine Chiffrierscheibe. Goderenko hasste den Umgang mit Einmal-Blocks von Herzen, doch er war Teil seines Lebens wie der Gang zur Toilette. Lästig und unangenehm, aber notwendig. Die Entschlüsselung der Nachricht kostete ihn zehn Minuten. Erst als er damit fertig war, begriff er, worum es ging. Vom Vorsitzenden persönlich? dachte er und fühlte sich gewissermaßen ins Büro des Chefs gerufen.
Der Papst? Was, zum Henker, treibt Juri Wladimirowitsch in die Nähe des Papstes? Dann dachte er einen Moment lang nach. Ach, natürlich. Das
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