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Rede, dass ich dich sehe

Rede, dass ich dich sehe

Titel: Rede, dass ich dich sehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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wieder in mir zu arbeiten beginnt, wie es mich wieder beschäftigt, auch nachts. Dann fange ich noch mal an. Bei mir dauert alles sehr lange.
    ZEIT :  Gibt es Bücher, die Ihnen besonders wichtig sind, die Sie durch Ihr Leben begleitet haben?
    Wolf:  Ich habe ein kleines blaues Buch mit Goethe-Gedichten, das bedeutet mir viel. Ich war als junges Mädchen, mit siebzehn, achtzehn, nach der Flucht ziemlich krank, mußte für ein paar Monate in ein Lungensanatorium. Diese Gedichte, die eine Lehrerin mir schenkte, haben eine ungeheure Lebensfreude in mir erzeugt, sie waren mir eine Offenbarung und sind es bis heute.
    ZEIT :  Haben Sie diese Gedichte immer in Reichweite?
    Wolf:  Ja.
    ZEIT :  Lesen Sie manche Bücher mehrmals?
    Wolf:  Oh, ja! Gerade jetzt habe ich den Doktor Faustus von Thomas Mann wieder gelesen. Eine tolle Geschichte: Der Teufel macht diesen »Tonsetzer« zum Schöpfer eines genialen Werkes, um den Preis, daß er nicht lieben darf. Leverkühn läßt sich darauf ein. Dahinter steckt die grundsätzliche Frage: Welchen Preis zahlt ein Künstler für sein Werk? Ich kenne Menschen, die nicht lieben konnten, aber großartige Bücher geschrieben haben.
    ZEIT :  Wer zum Beispiel?
    Wolf:  Ich werde keine Namen nennen.
    ZEIT :  Welchen Preis haben Sie gezahlt?
    Wolf:  Ich habe versucht, den Preis so gering wie möglich zu halten. Mir war immer klar: Wenn ich zu wählen gehabt hätte,
etwa zwischen meinen Kindern und dem Schreiben, ich hätte mich immer für die Kinder entschieden. (…) Der Verzicht auf Leben – dazu war ich nie bereit. Vielleicht fehlt mir in diesem Punkt eine gewisse Rigorosität.
    ZEIT :  Glauben Sie, daß Sie Ihre Möglichkeiten, Ihre Fähigkeiten ausgeschöpft haben?
    Wolf:  Ich kann weder mit Ja noch mit Nein antworten. Vielleicht hört sich das komisch an in meinem Alter, aber ich habe den Eindruck, daß die letzte »Ausschöpfung« noch bevorsteht.
    ZEIT :  In Ihrem neuen Buch Mit anderem Blick schreiben Sie über das Essen, über Reisen, über skurrile Beobachtungen. Täuscht das Gefühl, daß dieses Buch leichter ist, was den Blick aufs Leben angeht?
    Wolf:  Nein, der Eindruck täuscht nicht. Dieses Buch ist sogar ein wenig unter diesem Gesichtspunkt zusammengestellt. Ich wollte einfach mal ein paar Dinge zeigen, die man von mir nicht unbedingt erwartet. Dazu gehören der Humor, die Leichtigkeit. Anders, als vielleicht manche vermuten, lache ich gern, wir lachen sehr viel in der Familie. Ironie und Selbstironie stehen bei uns hoch im Kurs. Ich wollte einfach mal etwas mehr davon sehen lassen.
    ZEIT :  Sind Sie mit den Jahren weiser geworden?
    Wolf:  Weiser? Vielleicht gelassener. Man hat doch schon einiges erlebt, und manches wiederholt sich. Eine bestimmte Struktur von Erfahrungen wiederholt sich. Ich kann nicht sagen, daß ich dickhäutiger geworden bin. Das überhaupt nicht. Aber meist weiß man aus Erfahrung, irgendwann geht es vorbei. Das bringt ein bißchen mehr Gelassenheit.
    ZEIT :  Anfang der neunziger Jahre haben Sie erlebt, wie in den deutschen Feuilletons plötzlich eine Debatte begann, in deren Mittelpunkt Sie standen. Tenor: Christa Wolf sei eine Staatsschriftstellerin der DDR , ihre Literatur sei überschätzt. Hat Sie dieser Angriff damals überrascht?
    Wolf:  Ja. Ich hatte das nicht erwartet, weil ich vorher im Westen ja sehr anerkannt war, als »gesamtdeutsche« Schriftstelle
rin. Und plötzlich war und bin ich für die Medien eine DDR -Schriftstellerin. Staatsschriftstellerin? Wer das sagte, hatte meine Bücher nicht gelesen.
    ZEIT :  Günter Grass meinte, die Angriffe seien nicht nur gegen Christa Wolf persönlich gerichtet gewesen, sondern gegen alles, was aus dem Osten kam. Sehen Sie das auch so?
    Wolf:  Ich glaube schon, daß es so war. Ich war im Osten, ob ich das wollte oder nicht, auf eine gewisse Weise eine Orientierungsfigur, und diese Figur wollte man demontieren, wie ja überhaupt die ganze DDR , nach dem Ausspruch einer ranghohen westdeutschen Politikerin, »delegitimiert« werden mußte. Bei der Gelegenheit versuchte das Feuilleton die realistische Literatur, auch von westdeutschen Autoren, zu diffamieren. Heute sieht man: Das ist nicht gelungen. Diese Art von Literatur ist lebendig. Und meine Leser sind mir geblieben.
    ZEIT :  Ein anderer Angriff lautete: Sie seien nicht nur jahrzehntelang von der Stasi bespitzelt worden, Sie seien auch selbst Ende der fünfziger Jahre für kurze Zeit Inoffizielle Mitarbeiterin

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