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Rede, dass ich dich sehe

Rede, dass ich dich sehe

Titel: Rede, dass ich dich sehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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abgesehen von der Kritik am Inhalt. Sicherlich verkörpert Der geteilte Himmel nicht mein heutiges Schreibideal. Aber danach habe ich eine Erzählung geschrieben, die hieß Juninach
mittag. Und damit erwachte in mir eine neue Lust zu schreiben, entstand meine Art von Realismus, mein Mut zu dieser Art von Realismus. Wenn Sie so wollen, ergab sich daraus meine Formel der »subjektiven Authentizität«. Das war natürlich in der DDR ein Stein des Anstoßes, weil das nicht dem vulgären Realismus entsprach, den man propagierte, und weil das damals auch keiner verstand. Aber mir war klar, daß ich diesen Weg weitergehen mußte, etwas anderes stand für mich nicht mehr zur Diskussion. Als nächstes erschien dann Nachdenken über Christa T.
    ZEIT :  Sie schreiben darin über die verstorbene Christa T.: »Klagen, Tränen, Vorwürfe bleiben nutzlos zurück. Endgültig abgewiesen, suchen wir Trost im Vergessen, das man Erinnerung nennt.« Ein brutaler, ein wütender Satz.
    Wolf:  Wenn ein Mensch stirbt, stirbt alles mit ihm, was er je erlebt, was er je gedacht hat, und das finde ich unfaßlich. Es nützt nichts, wenn ich so wenig wie möglich vergesse, der Mensch ist ja trotzdem weg. Gerade bei Menschen, die ein reiches Leben hatten, die viel in sich gesammelt haben und vieles davon nicht weitergegeben haben, wie soll das auch gehen, da finde ich den Tod besonders unannehmbar. Schrecklich, was mit jedem Menschen stirbt. Vielleicht ist Schreiben das Einzige, was man dagegensetzen kann.
    ZEIT :  Sie mögen das Vergessen nicht?
    Wolf:  Gute Frage. Doch, teilweise »mag« ich es schon, aber ich möchte es mir so wenig wie möglich erlauben. Ohne zu vergessen, könnte man nicht leben, das weiß man ja.
    ZEIT :  In Christa T. kommt ein Satz immer wieder vor: »Wann, wenn nicht jetzt?« Ist das im Grunde genommen der Satz für den Tod?
    Wolf:  Nein. Das ist im Grunde der Satz für das Leben. Alle meine Bücher, über die wir jetzt sprechen, also alle, die in der DDR erschienen sind und auch dort gedruckt wurden, sind natürlich aus dem Kontext des Lebens in der DDR entstanden. Aus der Problematik und vor allem aus der Konfliktlage, die
ich damals sehr stark erlebte. Ich spürte, das hatte ich ja vorhin schon beschrieben, daß ich mit meinem Schreiben Konflikte bearbeitete und neue Konflikte produzierte. Daß ich aber eben nicht anders konnte. Der Satz »Wann, wenn nicht jetzt« ist der komprimierte Ausdruck dieser Erkenntnis, daß jeder Tag kostbar ist, er bestimmt dieses Buch, das aus der Trauer über den Tod meiner Freundin hervorgegangen ist. Die DDR hat immer alles aufgeschoben, die Verwirklichung einer vollkommenen Gesellschaft, neuer glücklicher Menschen, um einer leuchtenden Zukunft willen wurde die Gegenwart verpaßt. Auch dazu paßt dieser Satz.
    ZEIT :  Abgesehen von Ihren Notizen zum 27. September führen Sie ein Tagebuch, ist auch dies zur Veröffentlichung bestimmt?
    Wolf:  Wenn überhaupt, dann Jahre nach meinem Tod. Da steht sehr viel Persönliches drin, über nahe Menschen, auch Urteile, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind.
    ZEIT :  Wie sehen Ihre Tagebücher aus?
    Wolf:  Das sind meist diese Wachstuchhefte, grün, rot oder schwarz, immer liniert.
    ZEIT :  Gibt es bestimmte Zeiten, in denen Sie schreiben?
    Wolf:  Unterschiedlich. Ein paar Stunden am Tag sollten es schon sein. Als sehr junge Frau arbeitete ich gern abends und nachts. Aber mit den Kindern ging das nicht mehr. Der ideale Arbeitstag? Vormittags vier Stunden schreiben, Mittagessen, Mittagsschlaf, nachmittags noch mal ans Manuskript oder Post erledigen. Aber dieses Ideal verschwindet hinter dem Horizont. Heute habe ich das Problem, daß ich mich zu leicht ablenken lasse. Ich weiß immer, welcher Tag ist, welche Zeit. Mein Mann kann sich viel besser konzentrieren, der vergißt alles um sich herum. Darum beneide ich ihn.
    ZEIT :  Wann wissen Sie, daß Sie richtig liegen mit einem Text?
    Wolf:  Wenn mein Mann ihn gelesen hat. Ich schreibe erst eine ganze Menge, ehe ich ihm etwas zeige. Er weiß genau,
was ich will, und drängt mich in diese Richtung. Er hat eine genaue Meß-Skala für meine Manuskripte. Wenn die optimalen Werte nicht erreicht sind, dann sagt er das.
    ZEIT :  Ärgert Sie das?
    Wolf:  Und wie! Jetzt nicht mehr so sehr. Früher hat es mich enorm aufgeregt. Wir haben uns gestritten. Inzwischen hat es sich eingependelt. Ich lasse die Manuskriptseiten erst einmal liegen. Irgendwann merke ich dann, wie es

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