Rede, dass ich dich sehe
des Ministeriums gewesen. Sie schrieben Berichte, harmloser Art, aber immerhin. Können Sie sich diesen Fehler inzwischen verzeihen?
Wolf: Das ist natürlich kein Ruhmesblatt. Aber inzwischen gehe ich auch in diesem Punkt gelassener mit mir um. Ich habe mich redlich bemüht, mich mit dieser Episode in meinem Leben auseinanderzusetzen. Ich habe meine Akte als Buch veröffentlicht, weil ich fand, meine Leser hätten ein Recht, darüber Bescheid zu wissen. Natürlich haben die Medien dieses Buch dann kaum zur Kenntnis genommen.
ZEIT : Monatelang standen Sie im Feuer öffentlicher Angriffe. Wie sind Sie mit diesem Druck umgegangen?
Wolf: Das war eine schwierige Zeit. Es wurde ja eine Art Monster-Bild von mir verbreitet. Ich mußte lernen, wer ein wahrer Freund ist und wer nicht. Mein Mann, meine Familie haben mir geholfen, ohne sie hätte ich das nicht durchgestanden. Sehr geholfen hat mir auch, daß ich genau zu dieser Zeit
für ein Dreivierteljahr in Los Angeles gewesen bin, als Stipendiatin der Getty-Stiftung. Wir waren eine Gruppe Künstler und Wissenschaftler aus den verschiedensten Ländern. Auch die haben mich mit ihrer realistischen Sicht auf die überhitzte Atmosphäre im vereinigten Deutschland vor gefährlichen Überreaktionen bewahrt. Ich habe in dieser Zeit sehr viele interessante Menschen kennengelernt, am bewegendsten waren meine Treffen mit Holocaust-Überlebenden der zweiten Generation.
ZEIT : Können Sie ein Beispiel erzählen?
Wolf: Ich traf eine Frau, die war von ihren jüdischen Eltern als Kind in einem Nonnenkloster versteckt worden, als die deutsche Wehrmacht in Frankreich einmarschierte. Sie konnte das nie, nie verwinden, obwohl ihr dadurch das Leben gerettet wurde. Die Eltern holten sie wieder zu sich, als sie einen Fluchtweg nach Amerika ausgemacht hatten. Rational hatte sie ihre Eltern natürlich verstanden, aber emotional konnte sie nie darüber hinwegkommen, daß ihre Eltern sie weggegeben hatten. Mich hat diese Geschichte sehr bewegt.
ZEIT : Frau Wolf, was war im Rückblick an Ihrer Zeit in der DDR richtig gut?
Wolf: Das kann ich so nicht beantworten, über die ursprünglichen Erinnerungen schieben sich die späteren Bewertungen. Ich will es mal so versuchen: Vielleicht war es diese Aufbruchsstimmung in den fünfziger Jahren, das Gefühl, hier in der DDR entsteht ein besserer, ein sozial gerechterer Staat. Wir bekamen in jenen Jahren unsere antifaschistische Prägung. Ich kam in Kontakt mit linken Schriftstellern, die aus der Emigration in die DDR gekommen waren: Louis Fürnberg, Anna Seghers, Willi Bredel, F. C. Weiskopf, KuBa, Alex Wedding – und viele andere. Wir lasen ihre Bücher. Wir erlebten ihre Konflikte mit. Ich denke heute noch, das waren die interessantesten Leute, die es damals in Deutschland gab. Die Begegnungen mit ihnen konnten einen glauben lassen, man befände sich am richtigen Ort. Das war zum Teil ein utopischer Ort, den der »real
existierende Sozialismus« dann nach und nach besetzte. Aber eine Utopie kann sehr, sehr lange in einem nachwirken.
ZEIT : Mochten Sie Brecht?
Wolf: Als Autor natürlich. Auch als Denker und als Theatermacher: Alle seine frühen Inszenierungen am Berliner Ensemble – auch so ein utopischer Ort – bleiben mir unvergeßlich. Gegen Brecht als Mann hatte ich Vorbehalte, mir schien, er verlangte zu viel Selbstaufgabe von seinen Frauen.
ZEIT : Wann haben Sie von der DDR Abschied genommen?
Wolf: Es war ein langer Abschied, der Anfang der sechziger Jahre begann. Der letzte Zeitpunkt, die DDR mit Reformen wirklich zu verändern, wäre im Jahr 1968 gewesen. Aber dann haben die Russen den Prager Frühling niedergeschlagen. Es war vorbei. Nach der Wiedervereinigung stellte sich kurz eine Art Phantomschmerz ein, unter anderem deshalb, weil ich die Abqualifizierung der DDR einzig unter dem Begriff Diktatur als zu undifferenziert empfand. Aber auch dieser Schmerz ist vergangen.
ZEIT : Herbst 2005, fünfzehn Jahre nach der Deutschen Einheit: Wie fällt Ihr Blick auf die heutige Gesellschaft aus?
Wolf: Eine Gesellschaft in der Krise, die ihre Integrationskraft für ihre auseinanderdriftenden Bevölkerungsgruppen zunehmend verliert, und, was gefährlich ist, große Mengen »überflüssiger« Menschen produziert; eine Gesellschaft, die ihren humanitären Wertekanon zugunsten neoliberaler »Werte« aufzugeben beginnt, in der viele Einzelne um ihren Platz kämpfen und ihn dann zu halten versuchen.
ZEIT :
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