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Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)

Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)

Titel: Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Hakl
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Punkten, grob gewebte in Olivgrün, eins schöner als das andere.
    „Wie fahren wir?“, fragt er.
    „Taxi.“
    „Taxifahrer sind, ch-ch, teuer.“
    „Das macht nichts.“
    „Ich werd in einem Jahr achtzig.“
    „Was hat das damit zu tun?“
    „Ich hab ’ne kleine Rente.“
    „Wir werden uns doch nicht im Bus durchruckeln lassen, ich ruf ein Taxi.“
    „Wann würde das kommen?“
    „In ein paar Minuten.“
    „Dann ruf noch nicht an, ich muss schauen, ob ich alles hab.“
    Er wühlt in zwei Taschen. Eine nehme ich, die zweite er. Wir gehen die Treppe runter und am Haus entlang. Durch die Gitter der in Reihen angeordneten Balkons leuchten zerbrochene Stühle und Tretroller.
    Wir stehen an der Ecke und warten. Der Morgennebel ist längst der Sonne gewichen. Die Anhöhe oberhalb der Ruine des Záběhlicer Schlosses strahlt in frischem Licht. Der Wind pfeift, die Kandelaber salutieren, der Goldregen blüht. Am Bordstein bremst ein Fabia. Ich helfe meinem Vater beim Einsteigen. Wir schaffen es nicht, die Beine hineinzuhieven. Der Typ am Lenkrad sieht uns im Rückspiegel zu.
    Wir steigen am Tor aus, hinter der Pförtnerloge studieren wir den Lageplan. Wir suchen weder A2 noch A3 noch A5, wir suchen G3. Ein ausgetretener Pflaster weg führt uns zwischen den Gebäuden hindurch. Wir gehen um ein granitgraues Haus herum, betreten es und melden uns in der Zentrale. Im Erdgeschoss nehmen wir Platz vor einer Tür, an der
AUFNAHME
steht. Ab und zu öffnet sie sich, ein Name wird aufgerufen, jemand erhebt sich, geht hinein, kommt nach geraumer Zeit wieder heraus und geht wie betäubt davon.
    Ich gehe uns am Automaten Kaffee holen. Mein Vater gibt den heißen Becher von einer Hand in die andere und schlürft zittrig.
    „In den letzten Jahren hab ich dauernd Lust auf Sardinen“, sagt er.
    „Und isst du welche?“
    „Ja. Du, lass mich ruhig hier und geh, das kann dauern.“
    „Ich warte.“
    „Na gut.“
    Wir sitzen da, schweigen.
    Die Tür geht auf, eine Stimme sagt einen Namen.
    „Wartest du hier?“, vergewissert er sich.
    Ich nicke. Mach ich.
    Von drin hört man eine gedämpfte Unterhaltung.
    Mein Vater kommt raus, in der Hand ein Formular, und setzt sich.
    „Ich hab ein Geschwür im Dickdarm“, verkündet er, „in fünf Tagen werd ich operiert. Hauptsache, das geht gut.“
    Er füllt das Formular aus. Die Spitze seines Stifts schwebt über der Spalte:
Über den Verlauf der Behandlung möchte der Patient vom Arzt informiert werden: a) in vollem Umfang, b) in eingeschränktem Umfang, c) gar nicht
.
    Er macht sein Häkchen bei b).
    Jetzt kümmert sich ein Sanitäter um uns, der an einen Bösewicht aus einer Stummfilmgroteske erinnert. Er hat auch diese enorm struppigen Augenbrauen und die Tränensäcke. Wir gehen ihm hinterher eine Treppe runter, eine Treppe rauf und bleiben vor einer Tür mit der Nummer 7 stehen. Der Mann macht sie auf. In den Betten eine Reihe von Liegepatienten, die an verschiedenen Trapezen und Fläschchen hängen. Papa sieht das. Er bleibt stehen, dreht sich um. Er denkt sichtlich daran, dass er besser die Kurve kratzen sollte, solange es noch geht. Der Sanitäter verstellt jedoch mit seinem ganzen Körper die Tür. Er geht also zu dem freien Bett und setzt sich irgendwie gehorsam offiziell darauf.
    Ich frage, ob er was braucht. Sage, dass ich ihn besuchen komme. Er antwortet, ich solle nicht kommen, er kenne das, die werden ihn von einer Untersuchung zur nächsten schleifen, ich solle erst danach kommen. Ich solle Frau Dr. Junkiánová anrufen, Dr. Junkiánová, schreib dir die Nummer auf. Ich schreibe.
    Auf dem Hof zwitschern die Vögel. Im Keller des Gebäudes rumort dumpf eine Pumpe, ein Kompressor, ein Ventilator, irgendein Aggregat.
    2 AM FRÜHEN ABEND SETZE ICH MICH AN MEIN NOTEBOOK, SO WIE DIE MEISTEN MEINER MITBÜRGER. Wir müssen Gefühle loswerden. Ich setze mich in den Sessel, verbrenne mir die Zunge am Tee und fange auch damit an. Ich gehe meine Lesezeichen durch, meine Foren, mache ein Textdokument auf, tippe eine Weile herum, lehne mich zurück, betrachte die zerfurchte Landschaft der Zimmerdecke. Die Haarrisse in der Farbe werden von einem Flussbett aus helleren Streifen umspült. Die Fasern der Spinnweben tanzen in der sich erwärmenden Luft. Sie schwanken, wehen im Rhythmus.
    Mein Vater macht jetzt wahrscheinlich dasselbe. Er starrt an die Decke und versucht mit der Realität klarzukommen. Auf die man sich nicht vorbereiten kann, auch wenn man all die Zen-Sprüche und

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