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Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)

Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)

Titel: Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Hakl
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Scheinwerfer auf sich gerichtet. „Wie konnten Sie das tun, wie konnten Sie das tun?“, die Medienbestie kreist weiter um ihren virtuellen Erdball. Dabei sagt ihm das der Junge schon die ganze Zeit. Tödliche Langeweile, sonst nichts.
    23 WIR SETZEN UNS IN DEN MÉGANE UND KNALLEN MIT DEN TÜREN. Wir fahren aus dem Ort hinaus. Obwohl Mai ist, stellt Murgy die Heizung an. Schön bis zum Anschlag. Rulpo legt eine CD ein und dreht die Lautstärke auf Maximum. Das Innere des Wagens ist erfüllt von basslastigem Stampfen. „Aisha“, rezitiert der Sänger mit affektiert trübseliger Stimme. „We’ve only just met and I think you ought to know, I’m a murderer, babies need blood.“
    An uns vorbei fliegen Nonstop-Spielhallen, Tankstellen, Clubs, Country-Saloons, abendlich leere Sportplätze, Zäune, Birken, Trümmerhaufen, Schotterwagen, Halden, in sich zusammengesackte Werkhallen, lichterloh brennende Container, Wände voller verlogener Versprechungen. Alleen von einsam urinierenden Betrunkenen. Jugo-Gangs. Bässe und Höhen.
    In meinem Hirn verblasst nach und nach das überbelichtete Nachbild des Hochlands. Das geschmolzene Kupfer der Hügel, die purpurrote Luft, der schwarze Stempel der Sonne. Durch meine Arme laufen Wellen von unwillkürlichen Zuckungen. Die Sehnen kribbeln, die Daumen vibrieren komisch. Sie sind es nicht gewohnt, in der oberen Hemisphäre auf Dauer Zugkräften standzuhalten.
    Puh, ist das eine Hitze.
    „Tun dir deine Griffel wenigstens weh?“, brüllt Rulpo.
    „Mensch, und wie!“, schreie ich, dankbar für die Ansprache.
    „Vielleicht hast du auch einen Sonnenstich, hähä“, feixt er. „Manchmal heizt sich die Rübe unterm Helm ganz gewaltig auf!“
    Da ist was dran, alles wankt ein bisschen. Am Himmel vor der Frontscheibe wächst das Zwielicht der Hauptstadt in die Höhe. Eine riesenhafte rotierende Qualle, die mit den Nesselfäden der Diskos um sich tastet, die blinkenden Perlen landender Airbusse. Rauch, Gekreische und Krawall. Dort ist unser Zuhause. Für nichts würden wir es eintauschen.
    Sie schmeißen mich viertel elf kurz hinter dem Uhelný trh raus. Wir sagen tschüs und danke, zum letzten Mal grinsen wir uns an.
    Beim Abkürzen durch die Markthalle kaufe ich mir eine chinesische Riesenapfelsine, eine genmanipulierte Pomelo in einem orangefarbenen Netz, das Stück kostet so viel wie drei Kilo Äpfel. Pampelmuse, Piesepampel, Pampe, Bommel, Poller, Opel, Urmel, Melodie, Elohim. Warum auch nicht, die Leute kaufen das wie die Wilden. Ich bin nicht der Einzige, der sich darauf freut, die Megafrucht aus dem Zellophan, der Schale, den Verpackungen zu befreien. Sie geduldig auseinanderzumontieren, den Zitrusbausatz zu zerlegen. Bis man beim Fruchtfleisch ankommt, das lebendigem Fleisch nicht unähnlich ist.
    24 DER WEG DER SYMBOLE IST GEFÄHRLICH, DENN ER IST EINFACH UND VERFÜHRERISCH –
MIT NEUER EINDRINGLICHKEIT KOMMT MIR DER SATZ AUF DER ROLLTREPPE ZUR METRO WIEDER IN DEN SINN.
Und besonders einfach und verführerisch ist er für Menschen mit einer lebendigen Phantasie, die am leichtesten einem Irrtum anheimfallen und das dann auch so an andere weitergeben können
. Jawohl!
Nichts ist leichter, als etwas symbolisch zu erklären
. Ja, genau …
Und das dann auch so an andere weiterzugeben
. Wer das geschrieben hat, ist eigentlich wurscht. Jetzt ist das meine Information, was ich damit mache, ist allein meine Sache.
    Auf dem Bahnsteig renne ich fast eine Blinde um. Sie schlängelt sich zwischen den Leuten durch, unter ihrer Sonnenbrille strahlt ein ausdauerndes Lächeln. Fast wie das von Rulpo. Eine ebenmäßige, kleine Blondine, nur die Zähne ein bisschen gelb. „Entschuldigung“, sagt sie laut und deutlich. „Entschuldigen Sie, Entschuldigung.“ Und haut den Leuten ihren weißen Stock gegen die Waden. Mit Schwung. Vor allem Frauen und Mädchen.
    Der Bahnsteig hat sich mit verschrobenen, geistlosen, deprimierten, verkrümmten und komplett verwilderten Erscheinungen gefüllt. Sie glotzen vor sich hin, hocken da, gehen hin und her, promenieren, präsentieren ihren Putz, Erfolge und Pleiten. Verziehen ihre Schnauzen, fordern Aufmerksamkeit. Viele skandieren etwas in kleine Telefone. Angeberisch schreien sie Begriffe wie „Deregulierung“, „Wachstum“, „Budget“, „Marge“, „Message“, „Package“, „Marathon“, „Magistratsbeschluss“.
    Sie mit einem Lachen in der Seele anzuschauen, was bleibt mir anderes übrig? Aufhören mit dem Naserümpfen. Hier zu Hause

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