Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)
verlorenen Wald gegen einen Baumstamm schlägt. Es folgt ein langgezogenes Rülpsen.
„Ischeumisch, dasch du da bischd“, sagt er zwei Oktaven tiefer als sonst.
„Ich freu mich auch“, sage ich, „’ne Stimme wie Frankenstein.“
„Basch? Bie basch?“
„Du hast eine Stimme wie Frankenstein“, melde ich ihm ins Ohr.
Eine stattliche Krankenschwester schaut sich tadelnd nach uns um.
„Isch bin Phankenstein, Junge“, röchelt der Mund. „Phersteesch du? Die ham mir die Hähne auschm Mund henomm. Beischd du, bo die hind?“
„Die haben sie weggeräumt.“
„Bohin?“, fragt er gereizt.
„Keine Angst, du kriegst sie ja zurück.“
„Die hollen mir die jetscht hehm.“
Mir wird gar nicht bewusst, dass ich seine Hand halte. Höchstwahrscheinlich bemerkt auch er das nicht.
„Basch isch mit Hanka?“
„Wir haben uns getrennt.“
„Begen dir, bie immer.“
„Hm.“
„Alleschischim Blusch.“
„Was sagst du?“
„Dasch allesch im Phlusch isch, ein Theil phescht, der Rescht phlüschig, ch, ch, ch.“
„Der Herr Doktor darf nicht lachen“, ermahnt uns mit Donnerstimme die stattliche Schwester.
„Schon klar“, sage ich gedämpft, „und dann soll einer noch leben.“
„Isch bürde herne noch heben“, flüstert der verunstaltete Mund meines Vaters, der den Schnurrbart nie im Leben von sich aus abgenommen hätte.
„Wirst du auch“, sage ich, „keine Angst.“
Seine dunklen Lippen verziehen sich zu einem misstrauischen Lächeln. Er schließt die Augen. Er ist müde. Verkriecht sich in sich selbst.
4 BEIM ZWEITEN BESUCH KANN ICH MICH WIEDER NICHT GENUG WUNDERN, WIE AUSLADEND MEIN SCHLAFENDER VATER IST. Der Nichtsportler, der Bücherwurm, der Weinstubenhocker hat auf einmal den Körper eines Indianers. Breite Schultern, die Hände zu Fäusten geballt. Und die Fäuste sind bandagiert. An den Enden seiner Arme hat er zwei dicke, mit Leukoplast umwickelte Verbandsknubbel. Ich stehe vor ihm und versuche das zu verstehen.
Vom Vorraum aus beobachtet uns eine unscheinbare Frau in einem Ballonmantel. Sie ordnet ihren mit Spangen befestigten Haarknoten und kommt auf uns zu. Im Unterschied zu mir erkennt sie ihn sofort. Sie stellt sich an die andere Seite des Bettes.
„Ich bin Magdaléna“, sagt sie in Richtung meines Vaters. „Sie sind der Sohn, ich weiß, wir haben uns schon mal gesehen. Glauben Sie, dass er uns wahrnimmt? Ivan, ich bin’s, hörst du mich?“
Seine Lider zucken. Er klappt seine gelbbraunen Scheinwerfer auf, lange versucht er, den Blick auf uns scharfzustellen.
„Ach, da schind schie ja“, sagt er.
„Ich bin’s, Magda.“
„Isch mein eusch beide, deschhalb hab isch hesaht: da chind chie ja.“
„Wichtig ist jetzt vor allem, dass du hier bist. Wie geht es dir?“, maunzt die Frau.
„Beschischn, hiescht du doch.“
„Und warum sind deine Hände verbunden, Ivan?“
Er bewegt den Kopf wie weiß nicht.
„Willst du was trinken?“
Er bewegt den Kopf wie will ich. Mit der rechten Hand stütze ich den seltsam leichten Schädel, vorne steht närrisch eine schüttere Haarkaskade ab, die Folge der vieljährigen Angewohnheit, sich einen Scheitel zu kämmen. Ich stecke ihm den Strohhalm in den Mund und halte das Glas. Er zuzelt wie ein Schmetterling.
Im Vorraum ist die Donnerschwester zu Gange. Sie schließt einen Schrank auf, holt eine mit einer Luftpumpe kombinierte Zange hervor und legt sie auf ein Tablett. Sie reckt mir ihren kantigen Hintern entgegen.
„Warum haben Sie ihm die Hände verbunden?“, frage ich leise.
Sie hört auf herumzufuhrwerken und richtet sich auf.
„Er ist handgreiflich geworden“, sagt sie. „Er wollte weg, das hab ich von ihm.“ Sie zeigt mir ihr von einem ordentlichen Bluterguss gebrandmarktes Auge.
„Das hat er nicht so gemeint“, sage ich.
„Ich weiß.“
„Und können Sie ihm die Verbände wieder abnehmen?“
„Erst morgen früh“, dröhnt sie und bringt das Tablett weg. „Und die Frau soll sich einen Kittel nehmen, das ist Vorschrift.“
Ich gehe zum Bett zurück und gebe der Frau einen Kittel. Die versucht ihre Wurstarme reinzustecken. Mein Vater schaut sie begriffsstutzig an. Dann wendet er mir den Blick zu. Es bereitet ihm Mühe.
„Channscht du mir mal schaang, bo isch bin?“, ächzt er.
„In der Thomayer-Klinik.“
„Ja, aber bo? Bo isch denn der Horscht?“
„Was für ein Horst?“
„Nich Horcht, Phorcht. Bo ich der Bald?“
„Der Wald, der ist dort.“ Ich zeige mit dem Finger über seinen
Weitere Kostenlose Bücher