Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)

Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)

Titel: Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Hakl
Vom Netzwerk:
Kopf hinweg.
    Eifrig dreht er seine Augen in die Richtung.
    „Schiehsch du da ein Muphlon?“, fragt er.
    „Nö.“
    „Da hib’sch aber belsche.“
    „Ich weiß.“
    „Isch bill nur hagen“, grummelt er, „dasch isch hier alleine bin.“
    „Wo bist du alleine?“ frage ich.
    „Hier bei mir hind die jabanischen Deubel“, versucht er zu artikulieren. „Bei mir hier chind die japhanischen Theuphel, hach.“
    Aus einem Augenwinkel quillt eine große dünne Träne. Ich warte, bis sie sich löst. Dann wische ich sie mit einer Serviette weg. Die Frau streichelt ihm von der anderen Seite rhythmisch die Hand.
    Vor der Klinik setzen wir uns auf eine Bank, die an einer Stelle steht, wo die meisten der Weggehenden schwache Knie bekommen. Die Frau holt einen Damenzigarillo aus ihrer Handtasche, gibt sich Feuer und spricht. Dann rede ich, und sie hört zu. Sie richtet ihren offenen, hellgrauen Blick auf mich. Und Sie?, fragt sie und bläst den Rauch durch ihre gepuderte Nase aus, wie geht’s Ihnen so? Alles im Rahmen, antworte ich, arbeitstechnisch. Läuft ganz gut. Details interessieren sie nicht, was mich freut. Ich würde aussehen wie Papas missratener Sohn, verkrachte Existenz, uneheliches Kind. Intelligente Gesprächspartnerinnen, bloß zusehen, dass man weiterkommt. Die sortieren einen gleich ein.
    Japanische Teufel, frage ich mich, was könnte das sein? Hirngespinste durch die Narkose? Träume? Dämonen, die im Labyrinth der verlöschenden Seele ausgeschwärmt sind? Ergebnis von Erlebtem?
    „Haben die Ihnen wenigstens gesagt, warum seine Hände verbunden sind?“, fragt die Frau.
    „Seine Venen sind zerstochen, damit er sie nicht aufkratzt.“
    „Ich vermute ja eher, dass er handgreiflich geworden ist“, sagt sie und zerknickt den angerauchten Zigarillo am Rand der Bank.
    5 BEIM NÄCHSTEN BESUCH NIMMT MICH EIN ARZT MIT SORGFÄLTIG RASIERTEM BEUTELGESICHT VOLL FEINER FÄLTCHEN ZUR SEITE. Er teilt mir in der Diktion eines erfahrenen Schauspielers mit, dass die Nieren meines Vaters in seinem Alter langsam aufgeben und die Lunge die Hilfe eines Atemgeräts brauche. Das Herz arbeite zwar gleichmäßig, allerdings, das Herz des Ganzen sei der psychische Zustand, und genau da liege das Problem. Das Gehirn scheine nicht gut auf den postoperativen Zustand reagiert zu haben und sei geschädigt. Man wisse nicht, in welchem Maße. Ich solle mich aber auf die Möglichkeit vorbereiten, dass „der Herr Doktor“, wie er den Titel meines Vaters mit Routine würdigt, fast mit Sicherheit auf dauerhafte Pflege an gewiesen sein werde, falls er die Komplikationen überstehe. Denn der psychische Zustand könne Schaden genommen haben.
    Ich danke ihm für die deklamatorische Leistung, die an die Qualitäten von Meister Zdeněk Štěpánek in der Rolle des Jan Hus heranreicht, und gehe zum Bett meines Vaters zurück.
    Der Verband an seinen Händen ist jetzt ab, sie liegen locker da. Er schaut mich an.
    „Und, basch haacht er?“, schnauft er.
    „Das wird wieder.“
    „Und bann?“
    „Bald.“
    Ich nehme seine Hand. Die Haut ist weich wie bei einem Olm. Seinem offenen Mund entfleucht ab und zu ein mürrisches Rülpsen. Er blinzelt. Seine Pupillen bewegen sich schwerfällig. Ich sehe, wie er dauernd nach innen wegrutscht, in sich selbst hinein, wo verwirrte Erinnerungen wüten, Drainagen blubbern und Darmraubtiere brüllen.
    „Lasch losch, bir hehn hier ausch bie barme Brüder“, röchelt er. „Basch machscht du hrade? Schreiben?“
    „Hm“, sage ich.
    „Hophendlisch nisch bieder über misch.“
    „Über dich nicht mehr.“
    „Isch sterbe“, sagt er.
    „Ach komm, warum denn?“
    „Isch beisch, dasch esch scho beit isch.“
    Er sieht mich an. Ich schüttle den Kopf. Und halte seine Hand.
    6 ZU HAUSE ÖFFNE ICH DIE FLASCHE MOLDAWISCHEN COGNAC VON DEM MÄDCHEN MIT DEM RUSSISCHEN AKZENT IM SPÄTKAUF. Ich gieße mir was ein und lege mich auf den Teppich. In Gedanken sehe ich meinen Vater, wie er auf Kissen gelagert im Zimmer nebenan liegt. In diesem lausigen Loch, in dieser Grotte, aus der ich mich schon lange hätte verabschieden müssen. Die Wasserhähne sind undicht, der Boiler tropft, die Fenster schließen nicht mehr richtig, ich schaffe es nicht mal neu zu streichen. Ich sehe mich, wie ich ihm Spaghetti koche, wie ich ihn damit füttere. Wie sie ihm am Kinn kleben bleiben. Wie ich an seinem Bett sitze und ihm den
Doppelmord in der Rue Morgue
vorlese. Wie er jede Gelegenheit sucht zu fliehen, verzweifelt, weil er in

Weitere Kostenlose Bücher