Regency Reality-Show
verirren. Es hatte unzählige Treppen und Hintertüren für die Dienstboten und keine der zahlreichen Zimmertüren war nummeriert oder angeschrieben. Es war zum Verzweifeln. Ich fragte mich allen Ernstes, wie ich mein Zimmer je wiederfinden könnte. Bei der Treppe links abbiegen, dann war es die vierzehnte Türe auf der rechten Seite. Nur, bei welcher Treppe musste ich links abbiegen? Auf Mama konnte ich mich kaum verlassen, die hatte sich sogleich mit den anderen Gästen ins Getümmel gestürzt, sich auf dem ganzen Weg ins güldene Zimmer mit zwei älteren Damen unterhalten und sich dabei bestimmt nicht gemerkt, wo sie langgelaufen war. Und der liebe Herr Papa – der hatte sich aufs Ohr gelegt und war gar nicht erst zum Tee aufgetaucht. ‚Teekränzchen ist etwas für Frauen‘ hatte er gebrummelt, sich zur Wand hin umgedreht und gleich zu schnarchen angefangen.
***
Das güldene Zimmer hatte seinen Namen mit Recht verdient. Ausser der weissen Zimmerdecke und dem dunklen Parkett war alles in glänzenden Gold- und Gelbtönen gehalten und da die Sonne schon etwas tiefer am Himmel stand und direkt in den hellen Raum schien, glänzte alles prunkvoll. Die Gäste, die sich in ihren farbenfrohen Roben tummelten, gingen ob dieser Pracht fast verloren.
„Hallo, ich bin Elisabeth. Aber alle Freunde nennen mich Lizzi.“
Ich war so in den Anblick des Raumes vertieft, dass ich erst gar nicht mitbekommen hatte, dass Lizzi mit mir sprach.
„Entschuldige bitte, ich musste den Raum erst auf mich wirken lassen. Er ist wahnsinnig prunkvoll. Ich bin übrigens Gertrud.“
„Dann bist Du bestimmt das Mädchen aus Wien. Ich bin die jüngste Tochter der Gastgeber und habe Mama die letzten Tage nach den Gästen gelöchert. Sie hat doch tatsächlich eine grosse Liste im Büro hängen mit allen Gästen, ihren Titeln und – soweit bekannt – ihren Stammbäumen. Ihr seid die einzigen Nicht-Engländer.“
Lizzis Redeschwall war amüsant, könnte allerdings auf die Dauer doch etwas ermüdend werden. Aber in Lizzi hatte ich offenbar die perfekte Führerin gefunden. Sie kannte sich nicht nur mit den Gästen sondern auch den Örtlichkeiten bestens aus.
„Ja, wir haben ein Haus in Wien, wo wir den Winter über wohnen. Aber sonst wohnen wir auf dem Schloss Thunstetten ausserhalb Salzburgs. Meine Mama ist aber Engländerin und ich glaube, ein paar Verwandte von uns sollten auch da sein. Könntest Du mir nach dem Fünfuhrtee das Anwesen zeigen? Alleine würde ich mich nie zu recht finden.“
„Aber gerne. Es hat sogar ein paar Geheimgänge, die ich Dir zeigen kann.“
„Vielleicht beschränken wir uns am Anfang erst auf die Hauptkorridore, damit ich die wichtigsten Räume kenne. Auch möchte ich den direkten Weg zu den Stallungen wissen, meine Araberstute Flora vermisst mich bestimmt schon.“
„Komm, wir essen ein Gurkenbrötchen, damit wir uns gleich auf die Suche nach neuen Korridoren und verborgenen Zimmern begeben können. Du kannst Dir ja gar nicht vorstellen, wie aufregend dies hier alles ist. Sonst ist mein Leben ja sooooooooo langweilig!“
„Ja bestimmt ist es viel abwechslungsreicher, wenn all die vielen Gäste hier sind.“ Ich sah Lizzi eindringlich an und sie blickte erst erstaunt, dann dankbar zurück. Offenbar war sie beinahe aus ihrer Rolle gefallen und wollte mir gerade von ihrem echten Leben erzählen. Damit hatte ich Lizzi als echte Freundin gewonnen.
***
Das güldene Zimmer war nahe beim Haupteingang und so marschierten wir beide nach dem Nachmittagstee erhobenen Hauptes durch den Haupteingang – vorbei an livrierten Dienern und erstaunten Gesichtern und gaben uns so selbstsicher, dass uns niemand aufzuhalten getraute.
Die Stallungen waren enorm. Leicht zurückversetzt vom Haupteingang waren links und rechts lange zweistöckige Gebäude mit vielen Fenstern. Auf der einen Seite waren die Reitpferde in Einzelboxen untergebracht, im anderen Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite wurden die Zugpferde beherbergt und eine grosse Halle diente als Garage für die vielen Kutschen.
„Was ist oberhalb der Stallungen?“
Da Lizzi mir diese Frage nicht beantworten konnte, steuerten wir einen Stallburschen an, der draussen ein verschwitztes Pferd trocken rieb. Ich hatte gedacht, dass aus dem Vertrag hervorging, dass Teilnehmer dieser Reality-Show mindestens achtzehn Jahre alt sein müssten. Aber dieser Junge konnte unmöglich mehr als sechzehn sein. Er lief auch prompt puterrot im Gesicht an, als
Weitere Kostenlose Bücher