Regency Reality-Show
Lizzi und ich auf ihn zugingen.
„Hallo, ich bin Gertrud von und zu Thundorf.“
Der Bursche stammelte verlegen etwas Unartikuliertes.
„Entschuldige, ich habe Deinen Namen nicht verstanden.“
„Harry“
„Hallo Harry, kannst Du uns sagen, was sich über den Stallungen befindet?“
„Zimmer“
„Zimmer wofür?“
„Schlafzimmer“
„Wer schläft denn dort?“
Ich hätte nie gedacht, dass Harrys Gesichtsfarbe noch dunkler werden könnte. Nun glich er einer überreifen Tomate. Um nicht laut aufzulachen, biss ich mir auf die Lippen.
„Ich“
„Du schläfst da ganz alleine?“
Inzwischen war mir klar, dass hier wohl alle Stallburschen, Kutscher und wahrscheinlich auch die Gärtner untergebracht waren, aber es war zu lustig, dem scheuen Jungen die Worte einzeln aus der Nase zu ziehen.
„Nein, wir schlafen alle da oben.“
„Harry, bist Du noch nicht fertig mit Deiner Arbeit? Beeil Dich. Es warten weitere fünf Pferde auf Deine Pflege.“ ertönte aus der Stalltüre eine herrische Männerstimme.
Da wir Harry keine Probleme bereiten wollten, erkundigten wir uns nur noch rasch nach Flora und machten uns auf, meine geliebte Stute zu besuchen.
Flora machte einen zufriedenen Eindruck. Offensichtlich hatte sie die Aufregung der letzten Tage gut verdaut. Aber bestimmt wollte sie mindestens ebenso gerne ausreiten wie ich. Deshalb machte ich mich auf die Suche nach einem geeigneten Sattel.
„Mit diesem Kleid kannst Du auf keinen Fall aufs Pferd sitzen.“ tadelte mich Lizzi.
Ich sah verblüfft an mir runter. Hatte ich doch glatt vergessen, dass ich nicht in Reithose und Stiefel im Stall stand? Und was ich beim Blick nach unten entdeckte, versetzte mir einen kleinen Schrecken. Meine leichten Ballerinas waren ganz schmutzig und der Saum meines Kleides war feucht und voller Strohhalme. Ups – hoffentlich konnte ich meine Garderobe wechseln, bevor mich Mama oder Anna sahen. Die beiden würden mich bestimmt ausschimpfen. Schweren Herzens verabschiedete ich mich von Flora und machte mich mit Lizzi auf die Suche nach einer Hintertüre, durch die wir ungesehen ins Haus schleichen konnten.
Nachdem wir das Haus zur Hälfte umrundet hatten, fanden wir eine offene Verandatüre. Beim Fünfuhrtee hatte ich hauptsächlich ältere Damen angetroffen. Umso erstaunter war ich, als ich in dem prächtigen Raum, den wir betraten, eine ganze Gruppe Mädchen meines Alters beisammen stehen sah, die einander unter lautem Gekicher offenbar ein paar Tanzschritte beibrachten. Ich hatte ja keine Ahnung, dass so viele Schauspieler angestellt waren. Vorgängig hatte ich ausser meinen Schauspieleltern und unseren Bediensteten niemanden zu Gesicht bekommen und auch von diesen kannte ich nur die Namen ihrer Figuren. Die Leute vom Sender hatten uns verboten, uns anders als in unseren Charakteren zu unterhalten – auch schon bei den Vorbereitungen. Es würde allen einfacher fallen, sich später in unseren Rollen zu Recht zu finden, damit wir uns ja nicht verplapperten.
Bevor ich mich davon stehlen konnte, wurden wir von einem Mädchen erspäht und mit lautem Hallo begrüsst. Die Vorstellungsrunde war lustig und es stellte sich heraus, dass Lizzi zwei ältere Schwestern hatte – Rebekka (Becky) und Sophie. Insgesamt zählte ich zwölf junge Frauen. Wir versprachen, uns später an der Tanzstunde zu beteiligen. Erst wollte ich mich jedoch des Stalldrecks entledigen. Zum Glück begleitete mich Lizzi auf mein Zimmer, so fanden wir es über Hintertreppen ohne weiter aufgehalten zu werden.
„Ich verstehe nicht, warum Mutter so viele Frauen im heiratsfähigen Alter eingeladen hat. Sie hat mir und meinen Schwestern deutlich zu verstehen gegeben, dass sie diese grosse Party für uns veranstaltet und davon ausgeht, dass wir am Ende der zwei Monate alle drei verlobt sind.“
„Oh nein, zum Glück hat meine Mutter mich nicht unter Druck gesetzt. Aber wenn so viele junge hübsche Mädchen hier sind, dann hat sie doch mindestens ebenso viele stattliche junge Männer eingeladen.“
„Ich glaube, die jungen Männer sind in der Überzahl. Ich habe selber auch einen Bruder. Der ist vierundzwanzig Jahre alt. Bestimmt möchte Mutter nichts lieber als auch ihn zu verheiraten. Aber ihn kann sie nicht wie uns unter Druck setzen. Er verkriecht sich dauernd und hängt lieber mit seinen Kumpels rum.“ Nach kurzem Nachdenken fügte Lizzi hinzu: „Ja natürlich, daher die vielen weiblichen Gäste: Mutter will ihn also tatsächlich verkuppeln!“
Es
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