Regulator: Roman
her.«
Brad gab ihr das Geschoß. Sie drehte den Metallkegel zwischen den Fingern, dann hielt sie ihn vor die Augen.
Draußen grollte Donner, der lauteste Knall in den letzten paar Minuten, und alle zuckten zusammen.
»Wo haben Sie das gefunden?« fragte sie Johnny.
Er zeigte auf den Haufen Porzellanscherben unter dem schiefen Tischchen.
»Ach ja?« Sie sah skeptisch drein. »Und wieso ist es nicht in die Wand eingedrungen?«
Jetzt, wo sie die Frage aufwarf, sah er, daß es eine verdammt gute Frage war. Das Geschoß war nur durch ein Fliegengitter und ein schmales Tischbein gegangen; warum war es nicht in die Wand eingedrungen und hatte nur ein Loch hinterlassen?
»Ich habe so was wie dieses Püppchen in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen«, sagte Belinda. »Natürlich habe ich nicht alles gesehen, nicht mal annähernd, aber ich kann Ihnen verraten, daß das da nicht mit einer Pistole oder einem Gewehr oder einer Flinte abgefeuert worden ist.« »Aber sie haben mit Flinten geschossen«, sagte Johnny. »Mit Doppelflinten. Sind Sie sicher, daß das nicht doch -« »Ich kann mir nicht einmal erklären, wie es abgefeuert worden ist«, sagte sie. »Es hat keine Spuren von einer Zündvorrichtung an der Unterseite, so viel steht fest. Und es ist so klobig. Fast wie sich ein Kind ein Geschoß vorstellen würde.«
Die Schwingtür zwischen Flur und Küche ging auf, knallte gegen die Wand und erschreckte sie noch mehr als der Donnerschlag. Es war Susi Geller. Ihr Gesicht war totenblaß, und Johnny fand, daß sie nicht älter als elf aussah. »Nebenan schreit jemand, bei Billingsley«, sagte sie. »Hört sich wie eine Frau an, ist aber schwer zu sagen. Es macht den Kindern angst.«
»Schon gut, Liebes«, sagte Belinda. Sie hörte sich vollkommen ruhig an, und dafür bewunderte Johnny sie. »Geh wieder in die Küche. Wir kommen gleich nach.« »Wo ist Debbie?« fragte Susi. Die Josephsons versperrten ihr mit ihren ausladenden Figuren barmherzigerweise die Sicht den Flur hinunter zur Eingangstreppe. »Ist sie nach nebenan gelaufen? Ich dachte, sie wäre dicht hinter mir gewesen.« Pause. »Sie glauben doch nicht, daß sie da drüben schreit, oder?«
»Nein, da bin ich ganz sicher«, sagte Johnny und stellte erschrocken fest, daß er schon wieder kurz vor einem hysterischen Lachkrampf stand. »Geh jetzt, Suze.« Sie ging in die Küche zurück und ließ die Tür hinter sich zufallen. Die Drei sahen einander einen Moment mit ratlo sen Verschwörerblicken an. Keiner sagte etwas. Dann gab Belinda Johnny den klobigen schwarzen Kegel zurück, ging im Entengang an ihm vorbei zur Küche und stieß die Tür auf. Brad folgte ihr auf Händen und Knien. Johnny betrachtete das Geschoß noch einen Augenblick und dachte darüber nach, was die Frau gesagt hatte, daß sich so ein Kind eine Gewehrkugel vorstellen würde. Sie hatte recht. Er hatte seinen Anteil von Grundschulklassenzimmern besucht, seit er über die Abenteuer von Pat Kitty-Cat schrieb, und er hatte eine Menge Bilder gesehen, breit grinsende Mommys und Daddys unter gelben Buntstiftsonnen; merkwürdige grüne Landschaften mit braunen Bäumen, und das hier sah aus wie etwas, das intakt und irgendwie Wirklichkeit geworden aus einem dieser Bilder herausgefallen sein konnte.
Klitzekleines Baby Smitten, sagte eine Stimme tief in seinem Innern, aber als er die Stimme verfolgen und sie fragen wollte, ob sie tatsächlich etwas wußte oder nur leeres Stroh drosch, war sie verschwunden.
Johnny ließ das Geschoß zu den Autoschlüsseln in die rechte Hosentasche gleiten und folgte den Josephsons in die Küche.
4
Steven Jay Ames, ein Läufer, der seine Nominierung zum großen amerikanischen Hürdenrennen ziemlich früh zurückgezogen hatte, folgte einem Motto, und dieses Motto lautete:
KEIN PROBLEM, MANN.
In seinem ersten Semester am MIT hatte er nur Vieren bekommen - trotz SAT-Punktezahlen irgendwo in der Ionosphäre - aber, he,
KEIN PROBLEM, MANN.
Er hatte von Elektroingenieurwissenschaft auf allgemeine Ingenieurwissenschaft: umgesattelt, und als seine Zensuren immer noch nicht über die magischen 2.0 Punkte hinausgekommen waren, hatte er seine Koffer gepackt und war die Straße runter zur Boston University gegangen, nachdem er beschlossen hatte, den keimfreien Korridoren der Wissenschaft den Rücken zu kehren und sich den grünen Feldern der englischen Literatur zuzuwenden. Coleridge, Keats, Hardy, ein wenig T. S. Eliot. Ich hätte ein Paar spitzer Klauen sein sollen, die
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