Regulator: Roman
Nur ihr Haar schien am Leben zu sein, üppig und leuchtend, etwa zwei Töne dunkler als Orange. Wassertropfen funkelten wie Perlen darin.
Der Donner grollte jetzt nicht mehr so bedrohlich und weiter entfernt. Johnny streckte die Hand nach dem Fliegengitter aus, als er einen deutlich lauteren Knall hörte.
Johnny fand, daß es sich nach einem Kleinkalibergewehr angehört hatte, und warf sich fla ch auf den Boden. »Ich glaube, das war nur eine Dachschindel«, sagte eine Stimme hinter ihm, und Johnny schrie überrascht auf. Er drehte sich um und sah Brad Josephson hinter sich. Brad kauerte ebenfalls auf Händen und Knien. In dem dunklen Gesicht wirkten seine Augen außerordentlich weiß. »Was, zum Teufel, machen Sie hier?« fragte Johnny. »Spaßkontrolle bei den weißen Brüdern und Schwestern«, sagte Brad. »Jemand muß darauf achten, daß ihr es nicht zu toll treibt - das ist nicht gut für euer Herz.« »Ich dachte, Sie würden die ändern in die Küche bringen.« »Und da sind sie auch«, sagte Brad. »Sitzen in einer ordentlichen kleinen Reihe auf dem Boden. Cammie Reed hat das Telefon ausprobiert. Es ist tot, genau wie Ihres. Wahrscheinlich wegen dem Sturm.« »Ja, wahrscheinlich.«
Brad betrachtete den roten Haarschopf auf der Treppe der Carvers. »Sie ist auch tot, richtig?« »Ich weiß nicht. Ich glaube ja, aber ... ich werde das Fliegengitter aufmachen und mich vergewissern. Irgendwelche Einwände?«
Er hoffte, Brad würde ja sagen, daß er verdammt viele Einwände hätte, ein ganzes verdammtes Buch voll, aber Brad schüttelte nur den Kopf.
»Sie sollten besser flach am Boden bleiben, während ich es tue«, sagte Johnny. »Rechts ist alles klar, aber links kann ich nur bis zu Marys Auto sehen.«
»Ich werde mich flacher machen als eine Ringelnatter in einer Druckerpresse.«
»Ich hoffe, Sie besuchen nie ein Schreibseminar, das ich abhalte«, sagte Johnny. »Und passen Sie auf diese zerbrochene Porzellanfigur auf - zerschneiden Sie sich nicht die Hände.«
»Los«, sagte Brad. »Wenn Sie es tun wollen, dann tun Sie es.«
Johnny zog das Fliegengitter auf. Er zögerte, weil er nicht sicher war, wie er weiter vorgehen sollte, dann nahm er die kalte Seesternhand des Mädchens und fühlte nach einem Puls. Im ersten Moment spürte er nichts, dann -»Ich glaube, sie lebt!« flüsterte er Brad zu. Seine Stimme klang rauh vor Aufregung. »Ich glaube, ich spüre einen Puls!«
Johnny vergaß, daß bewaffnete Leute draußen im Regen lauern konnten, riß das Fliegengitter auf, packte eine Handvoll vom Haar des Mädchens und hob ihren Kopf. Brad drängte sich jetzt mit ihm an der Tür; Johnny konnte sein aufgeregtes Atmen hören und Schweiß und Aftershave riechen.
Das Gesicht des Mädchens kam hoch, und doch auch wieder nicht, weil es kein Gesicht mehr gab. Johnny konnte nur eine zerschmetterte rote Masse und ein schwarzes Loch sehen, wo ihr Mund gewesen war. Darunter sah er weiße Brösel, die er auf den ersten Blick für Reis hielt. Dann wurde ihm klar, daß es sic h um ihre Zähne handelte, was noch davon übrig war. Die beiden Männer schrien gleichzeitig und harmonisch im Sopran; Brads Aufschrei bohrte sich in Johnnys summendes Ohr wie ein Stachel. Der Schmerz schien ihm durch und durch zu gehen. »Was ist los?« schrie Cammie Reed hinter der Schwingtür zur Küche. »O Gott, was ist jetzt los?« »Nichts«, sagten die beiden Männer wieder gemeinsam und sahen einander an. Brad Josephsons Gesicht hatte eine seltsam aschfahle Farbe angenommen.
»Bleiben Sie alle hinten«, rief Johnny. Er wollte es lauter sagen, bekam aber keine Lautstärke in seine Stimme. »Bleiben Sie in der Küche!«
Er stellte fest, daß er immer noch das Haar des toten Mädchens hielt. Es war drahtig, wie ein aufgewickeltes Ako-Pads -
Nein, dachte er kalt. Nicht so. Als würde man einen Skalp halten. Den Skalp eines Menschen.
Er verzog das Gesicht und spreizte die Finger. Das Gesicht des Mädchens fiel mit einem feuchten Platschlaut auf den Beton zurück, auf den Johnny gerne hätte verzichten können. Neben ihm stöhnte Brad und preßte die Innenseite seines Unterarms auf den Mund, um das Geräusch zu unterdrücken.
Johnny zog die Hand zurück, und als das Fliegengitter zufiel, glaubte er, eine Bewegung auf der anderen Straßenseite zu sehen, in Audrey Wylers Haus. Jemand bewegte sich im Wohnzimmer, hinter dem Fenster. Aber jetzt konnte er sich keine Gedanken wegen der Leute da drüben machen. Im Augenblick war er so außer
Weitere Kostenlose Bücher