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Regulator: Roman

Regulator: Roman

Titel: Regulator: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Kindes regen, ihn verformen, strecken, unbarmherzig über seine normalen Grenzen und Formen hinaus dehnen. Doch das ist längst nicht alles. Sie dreht sich zu dem Fenster zurück und sieht hinaus. Zuerst denkt sie, es liegt an ihren Augen - daß etwas mit ihren Augen nicht stimmt -, vielleicht hat Tak sie irgendwie geschmolzen oder die Linsen verkrümmt, aber sie hält die Hände vor sich hoch, und die sehen ganz normal aus. Nein, mit der Poplar Street stimmt etwas nicht. Die Straße scheint in einer Weise, die Audrey nicht eindeutig definieren kann, aus der Perspektive zu geraten; Winkel verändern sich, Ecken blähen sich auf, Farben verschwimmen. Es ist, als wäre die Realität in einem Prozeß der Verflüssigung begriffen, und sie glaubt, daß sie den Grund dafür kennt: Taks lange Zeit seiner Vorbereitung und seines stillen Wachstums sind zu Ende. Die Zeit zum Handeln ist gekommen. Tak macht etwas, Tak baut etwas. Seth hat ihr gesagt, sie soll fortgehen, wenigstens eine Weile, aber wohin kann Seth gehen? Seth! versucht sie ihr Glück und konzentriert sich so fest sie kann. Seth, komm mit mir! Ich kann nicht! Geh, Tante Audrey! Geh sofort! Die Qual in seiner Stimme ist mehr, als sie ertragen kann. Sie dreht sich wieder dem Torbogen zu, der ins Erkerzimmer führt, sieht aber statt dessen eine Wiese, die von einer Felswand abwärts führt. Sie riecht wilde Rosen und spürt die aufreizende, feine Wärme des Frühlings, die den kommenden Sommer bereits ahnen läßt. Und dann steht Janice neben ihr, und Janice fragt sie nach ihrem Lieblingsstück von Simon and Garfunkel, und wenig später sind sie in eine angeregte Diskussion über »Homeward Bound« und »I Am A Rock« verstrickt, mit der Textzeile »If I'd never loved, I never would have cried.«
    In der Küche der Carvers liegen die Flüchtlinge auf dem Boden, haben die Hände über den Köpfen verschränkt und pressen die Gesichter auf den Boden; rings um sie herum scheint die Welt sich selbst in Stücke zu reißen. Glas splittert, Möbelstücke fallen um, etwas explodiert. Kugeln durchschlagen die Wände mit gräßlich klatschenden Lauten. Plötzlich kann Törtchen Carver es nicht mehr ertragen, daß Ellie sich an sie klammert. Sie liebt Ellen selbstverständlich, aber jetzt will sie Ralphie, Ralphie muß sie haben; den klugen, frechen Ralphie, der so große Ähnlichkeit mit seinem Vater hat. Sie stößt Ellen grob von sich, ohne auf den erschrockenen, entsetzten Aufschrei des Mädchens zu achten, und läuft zu der Nische zwischen Herd und Kühlschrank, wo Jim sich über den kreischenden Ralphie beugt und ihm eine Hand wie eine Mütze über den Kopf hält.
    »Mommmmiiiii!« heult Ellen und versucht, ihr nachzulaufen. Cammie Reed stößt sich von der Tür der Vorratskammer ab, packt das Mädchen an der Taille und läßt sich mit ihr zu Boden fallen, als etwas, das sich wie eine monströse Heuschrecke anhört, durch die Küche saust und den Wasserhahn trifft, den es hochschleudert wie ein Tambourmajor seinen Stock. Der größte Teil des wirbelnden Wasserhahns fliegt durch die Scheibe und das Spinnennetz auf der anderen Seite. Wasser schießt aus dem verbliebenen Stück heraus, im ersten Moment fast bis zur Decke hinauf. »Gib ihn mir!« schreit Törtchen. »Gib mir meinen Sohn! Gib mir meinen S -«
    Wieder nähert sich etwas mit dröhnendem Summen, gefolgt von einem lauten, unmelodischen Scheppern, als einer der Kupfertöpfe über dem Herd zu einer Masse verformter Trümmer und herumfliegender Bruchstücke zerfetzt wird. Und plötzlich schreit Törtchen nur noch, keine Worte mehr, nur Schreie. Sie hat die Hände vor das Gesicht geschlagen, Blut quillt zwischen den Fingern hervor und läuft an ihrem Hals hinunter. Kupferfäden bedecken die Vorderseite ihrer falsch zugeknöpften Bluse. Kupfer glänzt in ihrem Haar, und ein großes Stück ragt mitten aus ihrer Stirn heraus wie die Klinge eines Wurfmessers. »Ich kann nichts sehen!« schreit sie und läßt die Hände sinken. Natürlich kann sie nichts sehen; ihre Augen sind nicht mehr da. Ebenso wie der größte Teil ihres Gesichts. Kupfersplitter funkeln auf ihren Wangen, ihren Lippen, ihrem Kinn. »Hilf mir, ich kann nichts sehen! Hilf mir, David! Wo bist du?«
    Johnny, der mit dem Gesicht auf dem Boden in Ellens Zimmer neben Brad liegt, kann sie hören und weiß, daß etwas Schreckliches geschehen sein muß. Geschosse durchpflügen die Luft über ihnen. An der Wand gegenüber hängt ein Bild von Eddie Vedder; als

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