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Regulator: Roman

Regulator: Roman

Titel: Regulator: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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auf sie hinabschauen. Johnny findet, der Fleck sieht wie die Heiligenscheine aus, mit denen die Maler der Renaissance manchmal ihre Madonnen geschmückt haben. Dann fangen die Krämpfe wieder an.
    Belinda beugt sich hinab und hält Kirstens zuckende Schultern. »Helft mir doch!« herrscht sie Johnny und ihren Mann wütend an. »Ihr Dummköpfe, ich schaffe es nicht alleine, helft mir!«
    Im Haus nebenan hat Tom Billingsley seine Bemühungen um Marielles Leben fortgesetzt, selbst während der Angriff seinen Höhepunkt erreicht, wobei er mit der Sicherheit eines Chirurgen im Feldlazarett vorgegangen ist. Inzwischen hat er die Wunde genäht, und das Blut sickert nur noch langsam durch drei Lagen Mull, aber als er zu Collie aufschaut, schüttelt Doc den Kopf. Die Schreie von nebenan haben ihn mehr mitgenommen als die gerade vollzogene Operation. Marielle Soderson ist ihm ziemlich gleichgültig, aber er vermutet, daß die Frau, die drüben schreit, Kirstie Carver ist, und Kirstie mag er sehr. »Mann o Mann«, sagt er. »Ich meine, hallo.« Collie sieht nach, ob Gary in Hörweite ist, und sieht ihn, wie er sich in Docs Kochnische zu schaffen macht, ohne auf die Schreie und das Weinen der Kinder nebenan zu achten, ohne zu bemerken, daß die Operation an seiner Frau beendet ist; er öffnet und schließt die Schränke mit der Gründlichkeit des gestandenen Alkoholikers auf der Jagd nach Stoff. In den Kühlschrank hat er verständlicherweise nur einen kurzen Blick geworfen und geprüft, ob er Bier oder vielleicht gekühlten Wodka findet: Der Arm seiner Frau liegt darin, im zweiten Fach. Collie hat ihn selbst dort hineingetan und andere Sachen weggeschoben - Salatdressing, eingelegtes Gemüse, Mayonnaise, Reste von Schweinefilet in Klarsichtfolie -, bis er genügend Platz hatte. Er glaubt nicht, daß der Arm jemals wieder angenäht werden wird, nicht einmal in diesem Zeitalter der Zeichen und Wunder kann man so etwas wieder hinkriegen, trotzdem hat er es nicht über sich gebracht, den Arm in Docs Vorratskammer zu legen. Zu warm. Dort würde der Arm die Riegen anlocken. »Wird sie sterben?« fragt Collie.
    »Ich weiß nicht«, sagt Billingsley. Er macht eine Pause, sieht Gary ebenfalls an, seufzt und streicht sich mit den Händen durch seinen weißen Albert-Einstein-Haarschopf. »Wahrscheinlich. Ziemlich sicher, wenn sie nicht umgehend in ein Krankenhaus kommt. Sie braucht medizinische Versorgung. Vor allem eine Transfusion. Und nebenan ist jemand verletzt; Kirsten, glaube ich, wie es sich angehört hat. Und vielleicht ist sie nicht die einzige.« Collie nickt.
    »Mr. Entragian, was glauben Sie, geht hier vor?« »Ich habe nicht die geringste Ahnung.« Cynthia nimmt sich eine Zeitung (es ist der Columbus Dispatch, nicht der Wentworth Shopper), der während des ganzen Tohuwabohus auf den Wohnzimmerboden gefallen ist, rollt sie zusammen und fegt damit den Fußboden von Glasscherben frei - es sind überraschend viele -, während sie langsam zur Eingangstür kriecht. Steve überlegt, ob er eingreifen und sie fragen soll, ob sie vielleicht einen Todeswunsch verspürt, verkneift es sich aber. Manchmal hat er Eingebungen. Ziemlich ausgeprägte sogar. Als er seinerzeit nichtsahnend an der Strandpromenade im Palisades Park aus Handflächen gelesen hat, war dieses Gefühl auf einmal so stark, daß er noch am selben Abend den Job hinschmiß. Es handelte sich um ein lachendes, siebzehnjähriges Mädchen mit einem Eierstockkarzinom. Bösartig, im fortgeschrittenen Stadium, vielleicht einen Monat zu spät, um noch etwas ausrichten zu können. Nicht gerade die Vorstellung, die man haben wollte, wenn man ein hübsches Mädchen von der High School mit grünen Augen sah und getreu dem Motto
    KEIN PROBLEM
    lebte. Die Vorstellung, die er gerade jetzt hat, ist ebenso stark, wenn auch ein wenig optimistischer: Die Angreifer sind fort, jedenfalls vorerst. Er kann es unmöglich wissen, ist seiner Sache aber trotzdem ziemlich sicher. Statt Cynthia zurückzurufen, geht er mit ihr. Die Innentür ist von mehreren Schüssen aufgestoßen worden (und so stark verzogen, daß Steve bezweifelt, daß sie sich je wieder schließen lassen werde), und der Lufthauch, der durch das zerschmetterte Fliegengitter hereinweht, ist himmlisch - angenehm und kühl auf seinem verschwitzten Gesicht. Die Kinder nebenan weinen immer noch, aber die Schreie sind verstummt, und das ist eine Erleichterung.
    »Wo ist er?« fragt Cynthia verblüfft. »Sehen Sie, da ist seine Frau -«

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