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Regulator: Roman

Regulator: Roman

Titel: Regulator: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ob es nur Wunschdenken war) blieb Collie stehen. Er sah zu Steve zurück, und seine Augen blickten so stechend, daß Steve sich selbst umdrehte, um herauszufinden, was er anstarrte. Steve sah nichts als das grüne Dickicht, durch das sie sich bereits einen Weg gebahnt hatten. Keine Spur von Docs Haus; auch nicht von dem der Jacksons. Er sah einen winzigen roten Streifen und dachte, daß es sich vielleicht um den Kamin auf dem Haus der Carvers handelte, aber das war alles. Sie hätten genausogut hundert Meilen von der nächsten menschlichen Ansiedlung entfernt sein können. Als er das dachte - und feststellte, daß es ein zutreffender Gedanke sein könnte -, bekam Steve eine Gänsehaut. »Was?« fragte er und dachte, daß der Cop ihn fragen würde, warum sie nicht ein einziges Auto hören konnten, oder eine Stereoanlage mit aufgedrehten Bässen, ein Motorrad, eine Hupe, einen Ruf, irgendwas. Statt dessen sagte Collie: »Es wird dunkel.« »Kann nicht sein. Es ist erst -« Steve sah auf seine Uhr, aber die war stehengeblieben. Wahrscheinlich war die Batterie leer; er hatte sie nicht ausgetauscht, seit seine Schwester ihm die Uhr vor zwei Jahren zu Weihnachten geschenkt hatte. Aber es war merkwürdig, daß sie ausgerechnet kurz nach vier stehengeblieben sein sollte, kurz nachdem er in diesem wunderbaren kleinen Vorort angekommen war. »Erst was?«
    »Ich kann es nicht genau sagen, meine Uhr ist stehengeblieben, aber denken Sie doch mal nach. Es kann nicht später als halb sechs, Viertel vor sechs sein. Vielleicht sogar noch früher. Heißt es nicht, daß man die verstrichene Zeit überschätzt, wenn man sich in einer Krisensituation befindet?« »Ich habe keine Ahnung, wer das sagt, und habe es nie gewußt«, sagte Collie. »Aber sehen Sie sich doch nur das Licht an. Die Tönung des Lichts.«
    Das tat Steve, und tatsächlich hatte der Cop nicht so unrecht. Steve gab es nicht gerne zu, aber es war so. Das Licht fiel in warmen, rötlichen Strahlen schräg durch das Dickicht (und das war das angemessene Wort dafür, nicht Grüngürtel). Abendrot, Schönwetterbot', dachte er, und als wäre das der Auslöser gewesen, stürzte alles auf ihn ein, was nicht in Ordnung war, und er konnte es nicht mehr ertragen. Er hob die Hände und schlug sie vor das Gesicht, wobei er sich einen ordentlichen Schlag mit dem Kolben der .22er verpaßte, die er trug, spürte den Druck in seiner Blase und wußte, er war kurz davor, sich in die Hose zu machen, doch es war ihm gleichgültig. Er taumelte rückwärts und hörte Collie Entragian - scheinbar aus großer Entfernung - fragen, ob mit ihm alles in Ordnung sei. Mit der, wie ihm schien, größten Anstrengung seines Lebens, sagte Steve ja und zwang sich, die Hände zu senken und wieder in das wahnwitzige rote Licht zu sehen. »Ich möchte Ihnen eine sehr persönliche Frage stellen«, sagte Steve. Er fand, daß sich seine Stimme licht mal entfernt wie seine eigene anhörte. »Wieviel Angst haben Sie?« »Sehr viel.« Der große Mann strich sich wieder den Schweiß von der Stirn. Es war ausgesprochen heiß hier, aber trotz der tropfenden, raschelnden Blätter kam Steve die Hitze seltsam trocken vor, ganz und gar nicht wie in einem Treibhaus. Ebenso die Gerüche. Nicht unangenehm, aber trocken. Fast ägyptisch. »Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Ich sehe, daß das Dickicht da vorne dünner wird. Muß der Weg sein.«
    Es war tatsächlich der Weg, den sie kaum eine Minute, nachdem sie sich wieder in Bewegung gesetzt hatten, endlich betraten, und Steve sah - unter den Umständen tröstliche - Spuren der Tiere, die diesen speziellen Wildwechsel benützt hatten: eine Kartoffelchipstüte; die Packung von einem Stapel Baseballkarten; zwei Batterien, die ein Kind wahrscheinlich aus seinem Walkman gepult hatte, als sie leer waren; in einen Baumstamm geschnitzte Initialen. Auf der anderen Seite des Weges sah er etwas weitaus weniger Tröstliches: ein unförmiges Gewächs, stachlig und giftgrün, zwischen Sumachbäumen und Sträuchern. Dahinter standen zwei weitere, deren knorrige Arme steif emporstanden wie die von außerirdischen Verkehrspolizisten. »Heilige Scheiße, sehen Sie die?« fragte Steve. Collie nickte. »Sehen wie Kaktusse aus. Oder Kakteen. Oder wie auch immer man mehr als einen nennt.«
    Ja, dachte Steve, aber nur in dem Sinne, in dem die Frauen, die Picasso in seiner kubistischen Phase gemalt hatte, wie richtige Frauen aussahen. Die Einfachheit der Kakteen und die fehlende Symmetrie -

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