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Reich der Schatten

Reich der Schatten

Titel: Reich der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shannon Drake
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es bestimmt ein Kinderspiel, einem Menschen das Genick zu brechen. Jede noch so kleine Bewegung, die er ausführte, wirkte geschmeidig und kraftvoll.
    In Tara regten sich die unterschiedlichsten Gefühle. Ihr erster Impuls war, vor diesem Mann zu fliehen, sich von ihm fernzuhalten. Doch gleichzeitig wollte sie sich ihm nähern, sich hinter ihm verstecken, bei ihm Schutz suchen. Der Drang, ihm näher zu kommen und ihm zu vertrauen, war fast übermächtig.
    Ihr fiel der Schrei ein, den sie gehört hatte, das Misstrauen, das sie gegenüber allem und jedem in der Gruft verspürt hatte.
    Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie ihn anstarrte und völlig gebannt war von seinen merkwürdig goldgelben Augen. Nein, sie waren braun, einfach nur braun. Sie hatte ihn in der Gruft arbeiten sehen. Dort hatte er sie scheinbar nicht weiter beachtet oder aber sich über sie geärgert. Dennoch musste sie jetzt gegen den seltsamen Impuls ankämpfen, ihm vorbehaltlos zu vertrauen.
    Sollte sie dieser Regung nachgeben? Nein, zum Teufel noch mal, sie war doch wirklich klug genug, es besser zu wissen! Sie ärgerte sich über sich selbst, dass sie so lange herumgestanden und ihn angestarrt hatte, auch wenn wohl nur wenige Sekunden verstrichen waren.
    Dann bewegte er sich.
    Und zwar so unvermittelt, dass sie vor Schreck wieder zur Seite sprang. Währenddessen rammte er mit der Schulter wuchtig gegen die Tür.
    Abermals betrachtete er sie mit seinen merkwürdigen, fast gelben Augen.
    Zu ihrer Überraschung schien die Tür tatsächlich nachzugeben. Holz knarrte.
    Plötzlich fiel ihr wieder ein, dass sie, kurz bevor er aufgetaucht war, erschrocken festgestellt hatte, dass sie ihre Handtasche samt Telefon verloren hatte.
    Auch in der neueren Kirche waren die Türen wahrscheinlich schon mehrere hundert Jahre alt, sie waren dick und stark.
    »Mein … mein Telefon ist noch dort drunten.«
    »Ihr Telefon?«
    »In meiner Handtasche. Mein Handy. Ich habe die Tasche irgendwo dort drunten verloren.«
    »Wollen Sie etwa noch mal zurück, um sie zu suchen?«, fragte er.
    Bei diesem Vorschlag wich ihr das letzte bisschen Blut aus dem Gesicht.
    Sie befeuchtete die Lippen. »Was ist dort unten eigentlich passiert? Was war da los?«
    »Warum sagen Sie mir das nicht?«, fragte er. Er trat einen Schritt zurück und rieb sich die Schulter. Dann lehnte er sich an die Tür und blickte ihr direkt in die Augen.
    Wieder überkamen sie die merkwürdigsten Empfindungen. Zum einen natürlich Angst. Irgendwie war er ja wohl ein Teil des Ganzen. Er war ihr nachgerannt. Sie hatte gespürt, wie sein Blick sie durchbohrte, als sie dort unten den Schrei vernommen hatte.
    Angst.
    Wieder wäre sie am liebsten davongerannt. Sie wollte ihm nicht die Wahrheit sagen, die lächerliche Wahrheit: dass sie ihrem Großvater versprochen hatte, der Sache nachzugehen; dass ihr Großvater behauptete, einer »Allianz« anzugehören, und sie darum gebeten hatte, in Erfahrung zu bringen, wonach beziehungsweise nach wem dort unten gesucht wurde, wer daran beteiligt war und was immer sie sonst noch herausfinden konnte. Und dass sie versuchen sollte, den Professor und die Arbeiter zu belauschen, um festzustellen, ob sie kurz vor einer wichtigen Entdeckung stünden.
    Angst …
    Doch jetzt lehnte er an der Tür, hielt sich gebührend von ihr fern, wollte ihr helfen zu entkommen und wollte es wohl auch selbst.
    Etwas an seiner Erscheinung …
    Ein klassisch geschnittenes und gleichzeitig leicht verwegen wirkendes Gesicht, attraktiv auf durch und durch amerikanische Art, aber auch mit einem Anflug europäischer Finesse. Etwas an ihm schien Vertrauen einzufordern … und sie dazu zu zwingen, auf ihn zuzugehen. Sie trat näher, obwohl ihr Verstand sie warnte, Distanz zu wahren.
    Er trug ein grobes Baumwollhemd, die Ärmel hochgekrempelt. Darunter wölbte sich ein stattlicher Bizeps. Er war dreckig, wirkte jedoch gepflegt. Und er schien ruhig und gelassen in Anbetracht dessen, dass …
    »Was ist dort unten passiert?«, fragte sie noch einmal. Sie war noch einen Schritt auf ihn zugegangen und stand nun kaum einen Meter von ihm entfernt. Sein Blick war sehr direkt, die Kinnpartie markant, die Wangenknochen hoch und breit; auf den Wangen zeigte sich der Schatten eines Bartes.
    Er warf sich wortlos ein weiteres Mal gegen die Tür. Diesmal krachte es laut, etwas splitterte, und ein metallisches Geräusch war zu hören.
    Die Tür hatte ein Loch.
    »Ich muss die Polizei holen«, meinte er. »Vielleicht gehen

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