Reich der Schatten
sich hier einen Knochenjob bei einer Ausgrabung gesucht?«
»Mich interessiert Geschichte, Kommissar. Die Ausgrabung hat mich fasziniert, ich habe mich richtig über diese Arbeit gefreut. Immerhin konnte ich auf diese Weise direkt an dem Geschehen teilhaben.«
Javet nickte. »Der Ermordete hingegen schien eher für seinen Lebensunterhalt zu arbeiten.«
»Mir ist schon klar, dass ich verdächtig bin«, erklärte Brent unumwunden.
»Sie waren am Tatort. De facto waren Sie der Einzige, der am Tatort war. Bis auf diesen Touristen oder Jugendlichen oder wer auch immer, hinter dem Sie her waren, als der Mord passierte. Können Sie mir noch etwas über diesen Eindringling sagen?«
»So gut wie nichts. Ich hatte ja nicht die Gelegenheit, ihn zu stellen. Vielleicht hat er es geschafft, rauszurennen. Als ich die Schreie hörte, eilte ich zurück zur Grabungsstelle. Ich fand Jean-Luc. Ich berührte ihn, weil ich sehen wollte, ob er noch atmete. Aber sonst habe ich dort nichts angefasst. Ich bin so schnell wie möglich abgehauen.«
»Tot ist tot. Aber trotzdem … so, wie der arme Mann aus-sah …«
Javet war noch nicht alt, aber sein Gesicht wirkte, als habe er in seiner Zeit als Kriminalkommissar schon eine Menge schlimmer Dinge gesehen. »Was für ein grauenhafter Mord. Und alles nur wegen eines leeren Sarges«, murmelte er und schüttelte traurig den Kopf.
Brent zuckte die Schultern und hob hilflos die Hände.
»Ich habe nichts mehr angefasst, nachdem ich überprüft hatte, ob Jean-Luc noch Puls hat. Als ich merkte, dass der Kopf … Na ja, das hat mich schnell überzeugt, dass er nicht mehr lebte. Wie Sie sich vielleicht denken können, wollte ich mich dann nur noch selber retten. Und natürlich so rasch wie möglich ein paar Fachleute wie Sie benachrichtigen.«
Javet nickte. Brent zwang sich, nicht auf die Uhr zu blicken. Inzwischen waren schon etliche Stunden vergangen.
Zeit, die er bitter benötigte.
»Ihr Pass bleibt erst mal hier«, verkündete Javet.
»Selbstverständlich.«
»Und jetzt«, meinte Javet und lehnte sich zurück, »sprechen wir das Ganze noch einmal durch.«
»Noch einmal?«
»Jawohl, und zwar von A bis Z.«
Nun war all seine Warterei umsonst gewesen. Er hatte gesehen, wie die zwei aus der Kirche gerannt waren.
Er hatte sie beobachtet und geflucht, als die Polizei ausschwärmte.
Und er hatte dagestanden und versucht, zu erahnen …
Vergeblich.
Also hatte er gelauscht. Er hatte gehört, was die Beamten sagten. Und dann hatte er gewusst, was als Nächstes passieren würde. Eilig hatte er noch einen passenden Platz für sich gesucht.
Die düsteren Straßen des Dorfes waren dunkel genug, besonders am Bahnhof. Er hatte gewartet, alle Sinne angespannt, gelauert.
Er hätte sich gar nicht so anstrengen müssen: Der Mann kam in Uniform aus Paris. Er folgte ihm. Sobald sie allein auf der Straße waren und die Schatten dunkel genug waren, sprach er ihn an.
»Monsieur!«
Der Mann, sich seines Amtes und seiner Fähigkeiten gewiss, blieb sofort stehen. »Ja bitte? Wo sind Sie? Was ist hier los?«
Er zeigte sich.
Und trat zu dem ungeduldigen Beamten.
»Ich habe Informationen für Sie«, sagte er leise.
Eine Wolke schob sich vor die Mondsichel, und auch die Sterne schienen hinter den Wolken zu verschwinden. Die zwei Männer wurden von den Schatten verschluckt.
Brent sah noch einmal auf die Uhr und fluchte still auf den Mann, der ein weiteres Mal jedes noch so kleine Detail durchkauen wollte.
»Ich muss Ihnen sagen, dass ich Sie jetzt sofort wegen Mordverdachts festnehmen könnte«, meinte Javet in diesem Moment. »Schließlich sind Sie die einzige uns bekannte Person, die am Tatort war.«
»Wenn ich den Mann umgebracht hätte, wäre ich wohl kaum zu Ihnen gekommen, um Ihnen alles zu erzählen.«
Javet zuckte mit den Schultern. »Meistens habe ich ein recht sicheres Gespür, Malone. Und ich spüre, dass Sie mir die Wahrheit sagen und kein Mörder sind. Aber das Dorf, ja, vielleicht ganz Paris, wird in helle Aufregung geraten. Man wird von uns verlangen, möglichst rasch jemanden zu verhaften, damit man wieder ruhig schlafen kann. Es gibt bestimmt eine ganze Menge Leute, die der Ansicht sind, dass man Sie auf der Stelle verhaften sollte.«
»Und, was ist? Werden Sie mich festnehmen?«
»Im Moment nicht. Alles, was Sie mir gesagt haben, hat sich in den Katakomben bestätigt. Der Gerichtsmediziner meint, Sie müssten sofort, nachdem Sie die Leiche entdeckt hatten, hierhergekommen sein,
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