Reich der Schatten
einfiel, was ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte.
Tara.
Er hatte sie bei ihrem richtigen Namen gerufen, obwohl sie dem Professor den nächstbesten Namen genannt hatte, der ihr gerade in den Sinn gekommen war.
Ihr Mund wurde trocken.
Sollte sie nicht lieber gleich zur Polizei?
Sie wendete den Wagen. Der seltsame Amerikaner war schon ein Stück weitergelaufen, doch nun blieb er stehen und starrte zu ihr herüber. Starrte er sie an, oder bewachte er sie? Er kam ihr vor wie ein Wächter.
Sie konnte nicht zurück – jetzt nicht. Aber morgen würde sie wissen, ob er tatsächlich zur Polizei gegangen war. Wenn nicht, dann würde sie es tun. Und sie würde ihn beschreiben können und erklären, dass er den Mord zwar nicht begangen hatte, aber vielleicht etwas darüber wusste.
Sollte sie nicht doch besser gleich zur Polizei?
Aber in ihr regte sich eine Stimme, die sie davor warnte. Nein, tu, was er dir gesagt hat!
Sie fuhr nach Hause.
Sie musste jetzt sofort mit ihrem Großvater reden.
3
Die Polizei würde nicht viel ausrichten können.
Brent Malone saß Kommissar Henri Javet gegenüber und beantwortete jede seiner Fragen wahrheitsgemäß.
Seine Sicht des bizarren Mordes behielt er allerdings für sich.
Er bewunderte den Kommissar und die Schnelligkeit, in der hier gearbeitet wurde. Im Handumdrehen hatten Beamte die Katakomben durchkämmt, und zwar kompetent und effizient. Sie hatten sorgfältig darauf geachtet, keine Spuren zu vernichten. Nachdem die Anlage gesichert worden war und die Ermittler sich an die Arbeit gemacht hatten, begann die Befragung.
Es fiel Brent nicht schwer, die Wahrheit zu sagen. Er und Jean-Luc hatten gerade Feierabend machen wollen, doch er hatte befürchtet, dass sich noch ein Tourist in den Katakomben aufhielt. Während er nach dem Eindringling suchte, hatte er die Schreie gehört. Der Eindringling war davongelaufen. Professor Dubois hatte die Ausgrabungsstelle bereits zu einem früheren Zeitpunkt verlassen. Als er Jean-Lucs Leichnam sah, war er in Panik geraten und hatte das Kirchenportal zertrümmert, um zu fliehen.
Javet, ein Mann mit dunklen Augen, glattem, dunklem Haar und einem Körper, dem anzusehen war, dass er viel Zeit im Fitnessstudio verbrachte, wunderte sich, dass Brent die Tür hatte zertrümmern können.
»Adrenalin«, erklärte Brent und hob reumütig die Hände. »Es ist mir zwar peinlich, es zuzugeben, aber … aber ich hatte nur noch den einen Gedanken: nichts wie raus hier und die Polizei verständigen.«
»Sie sind sich sicher, dass Professor Dubois bereits gegangen war?«, fragte Javet.
Die Zeit, in der Brent mit dem Professor zu tun gehabt hatte, hatte sich der Bursche meist ziemlich mies verhalten. Dass er nun ebenfalls ein ausgiebiges Verhör über sich ergehen lassen müsste, geschah ihm durchaus recht, fand Brent.
»Ich glaube, dass er weg war. Sicher bin ich mir nicht. Jean-Luc und ich waren damit beschäftigt, die restlichen Arbeiten zu erledigen. Dann habe ich etwas gehört, und ich war mir sicher, dass sich noch jemand in den Katakomben aufhielt. Einer der Touristen, dachte ich; irgendein Jugendlicher vielleicht, der gewettet hatte, eine Nacht in den Katakomben zu verbringen. Sie wissen ja, auf welche dummen Gedanken manche Leute kommen. Ich war noch nicht weit von der Grabkammer entfernt, in der wir gearbeitet hatten, als ich die Schreie hörte. Aber ich kann Ihnen keinen genauen Zeitpunkt nennen. Als ich aus der Kirche kam und zu Ihnen ging, war es bereits dunkel. Vielleicht bin ich ein paar Minuten durch die Gänge geirrt, vielleicht auch mehr.«
»Und dann sind Sie zurückgerannt?«, fragte Javet, obwohl sie schon darüber gesprochen hatten.
»Er schrie. Mein erster Gedanke war, ihm zu helfen. Doch als ich bei ihm war, sah ich sofort, dass ihm nicht mehr zu helfen war. Mein nächster Gedanke war, so schnell wie möglich raus und die Polizei verständigen.«
»Haben Sie eigentlich eine Arbeitserlaubnis für Frankreich?«, fragte Javet mit scharfer Stimme.
Brent kramte seine Papiere heraus und zeigte sie ihm. Javet nickte. »Und das hier ist Ihre richtige Adresse?«
»Jawohl.«
»Sie haben nicht vor, das Land zu verlassen?«
Brent lächelte. »Nein, Sir. Ich habe keine derartigen Pläne.«
»Aber jetzt haben Sie vielleicht eine Zeit lang keine Arbeit.«
»Ja, aber das spielt keine Rolle.«
»Und warum nicht?«
»Meine Familie hat Geld. Zu Hause versuche ich mich in Aktien und Immobilien.«
»Und trotzdem haben Sie
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