Reich der Schatten
geschmeidig. In der Stille des Stalles und zwischen den Schatten wirkte er auf einmal gar nicht mehr so schmal. Sie hatte den Eindruck, dass seine Schultern mit jedem Schritt, den er auf sie zukam, breiter wurden. Bestimmt würde er gleich die Hände um ihren Hals legen und sie erwürgen. Anfangs hatte er sie mit seinem Charme eingenommen, er hatte sie fasziniert, ja mehr als das. Aber seine Pläne waren undurchsichtig, und jetzt war er wohl darauf aus, sie zu töten.
Während ihr Blick hektisch durch den Stall schweifte, bemerkte sie aus den Augenwinkeln heraus, dass in den Heuballen zu ihrer Linken eine Mistgabel steckte. Als er wieder einen Schritt auf sie zumachte, stürzte sie zu den Heuballen und bewaffnete sich mit der Mistgabel. Sie hielt sie drohend vor sich.
»Ich habe keine Angst davor, sie zu benutzen«, fauchte sie, wobei sie einigermaßen überzeugend klang.
Doch ihre Warnung rührte ihn nicht im Geringsten. Er lächelte nur, auch wenn er tatsächlich kurz innehielt. »Sie werden mich doch nicht etwa mit einer Mistgabel durchbohren«, meinte er.
»Doch, genau das werde ich, das schwöre ich Ihnen. Und jetzt verschwinden Sie endlich, verlassen Sie dieses Haus, und lassen Sie meinen Großvater in Ruhe!«
»Nein«, erwiderte er nur.
Und kam weiter auf sie zu. Obwohl sie nun bewaffnet war und sich auch zutraute, die Waffe einzusetzen, wich sie zurück. Aus zusammengekniffenen Augen beobachtete sie, wie er langsam und zuversichtlich immer näher kam.
»Geben Sie doch zu, dass Sie verrückt sind. Sie brauchen Hilfe«, stammelte sie.
Sie war stark genug, die Waffe zu benutzen, sie würde sie benutzen …
»Tara, du weißt, dass ich dir die Wahrheit gesagt habe.«
»Dass es Vampire gibt?«
»Du weißt, dass es wahr ist, denn du warst ja zugegen. Du hast den Schrei in der Grabkammer gehört. Und gestern auf dem Weg aus dem La Guerre wusstest du, dass ihr verfolgt wurdet. Das hast du ganz genau gewusst, und du wusstest auch, dass eine Gefahr in den Schatten lauerte. Es war etwas da, was du zwar nicht sehen konntest, aber deutlich gespürt hast. Und als ihr nach Hause kamt und diese Frau vor eurer Tür stand, wusstest du, dass etwas nicht stimmte. Du hast sie daran gehindert, ins Haus einzudringen.«
Jetzt war er nur noch einen Meter entfernt. Sie spürte wieder den seltsamen Magnetismus, der von ihm ausging, auch wenn sie sich dafür verfluchte. Sie spürte seinen Blick, sie bemerkte die seltsame goldene Färbung seiner Augen, die in Wirklichkeit wohl einfach nur braun waren, doch sie hatten die Kraft, zu brennen wie goldgelbe Flammen. Mit Müh und Not wich sie einen Schritt zur Seite. Im Geist formulierte sie Argumente gegen all das, was er gesagt hatte: Ein Mörder läuft frei herum, selbstverständlich ist man in einer solchen Situation auf der Hut, ich habe keinerlei übersinnliche Warnungen vor einer Gefahr in den Schatten wahrgenommen …
Doch sie brachte nur ein mühsames »Verschwinde!« zustande.
Er streckte die Hand aus. »Gib mir die Mistgabel!«
Ihr Griff wurde fester. Sie biss sich auf die Lippen, sie wollte die Mistgabel auf keinen Fall aus der Hand geben, sie wollte ihm zeigen, dass er nicht immer und überall seinen Willen durchsetzen konnte. Aber sie konnte den Blick nicht von ihm wenden, ihr Herz pochte, jeder einzelne Atemzug kostete sie die größte Mühe.
»Du bist wahrhaftig eine würdige Nachfahrin deines Großvaters«, sagte er leise. »Du bist stur und dickköpfig. Aber jetzt gibst du mir die Mistgabel!«
»Du bist nicht so toll«, flüsterte sie nur. »Glaub das bloß nicht!«
»Aber ich habe recht, und deshalb gibst du mir jetzt die Mistgabel!«
Sie wollte es nicht, doch als er den letzten Schritt machte, als sie die Arme hätte heben, die Muskeln anspannen und zustechen sollen, wollten ihre Glieder ihr nicht gehorchen. Ihre Hände begannen zu zittern, ihre Arme zu beben, und langsam, ganz langsam und völlig gegen ihren Willen übergab sie ihm die Waffe.
Seine Hände legten sich um den Griff – die Mistgabel gehörte nun ihm. Gleich würde er sie gegen sie richten und ihr die Zinken in den Bauch, in die Brust rammen.
Doch er warf die Mistgabel nur weit weg. Seine Augen funkelten wieder seltsam feurig-golden, als er zu ihr trat und die Hand nach ihr ausstreckte. Sie wollte schreien, doch der Schrei erstarb auf ihren Lippen.
Ann DeVant hatte ihre Arbeit völlig vergessen. Rick Beaudreaux lag neben ihr. Nun stützte er sich auf den Ellbogen und betrachtete die Frau
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