Reich der Schatten
um zu verhindern, dass dieses Grab geöffnet wird.«
Er kniff die Augen zusammen.
Sie beugte sich vor. Dass Malone anwesend war, war ihr in diesem Moment egal.
»Javet – Kommissar Javet … Weißt du, dass die Polizei dich verdächtigt, jemanden bezahlt zu haben, um diesen Arbeiter umzubringen und die Ausgrabung damit zu stoppen?«
Jacques schien das nicht weiter zu beunruhigen. »Ach, Javet«, meinte er nur abfällig.
»Und nicht nur Javet. Nein, wahrscheinlich wird dich auch ein Kriminalkommissar aus Paris verhören wollen.«
»Dann bist du also zur Polizei«, sagte Jacques kopfschüttelnd. Die Enttäuschung in seiner Stimme war nicht zu überhören.
»Die Polizei ist dafür zuständig, bei Mordfällen Ermittlungen anzustellen«, erwiderte sie sachlich.
Brent hatte sich auf den Schreibtisch gesetzt. »Die Polizei ermittelt auch, wenn jemand verschwunden ist«, meinte er mit ruhiger Stimme.
»Was meinen Sie damit?«, fragte Tara.
»In der Pariser Zentrale sind in den letzten Wochen sieben Personen als vermisst gemeldet worden.«
»Vermisst, verschwunden – was hat das mit dem brutalen Mord in unserem Dorf zu tun? Jean-Luc ist nicht verschwunden, er wurde ermordet und verstümmelt, und seinen Leichnam konnte jeder sehen.«
»Paula Denton, eine Studentin aus England, eine hübsche junge Frau, hat zuletzt vor über zwei Wochen mit ihrer Familie gesprochen und erklärt, dass sie an jenem Abend Paris verlassen und heimkommen wolle. Vor etwa zehn Tagen dann John Bryner, ein Amerikaner: Er sollte sich in einer Schule in Nizza melden, ist dort jedoch nie angekommen. Jilian Grieves, eine Pariser Prostituierte, wird seit einer guten Woche vermisst. Und ich könnte noch weitere Fälle aufzählen – gemeldete Fälle. Wer weiß, wie viele Menschen verschwunden sind, die keine Verwandten haben, die sie vermissen, oder Schwestern von der Straße, die nach ihren Freundinnen suchen.«
»Studenten sind verschwunden, junge Leute, die in Europa herumreisen. Und Prostituierte«, meinte Tara.
Brent hob die Braue. »Ach so? Und diese Menschen haben Ihr Mitgefühl nicht verdient?«
»Seien Sie nicht albern!«, fauchte sie. »Natürlich verdienen auch solche Menschen Mitgefühl. Aber Studenten ziehen ständig kreuz und quer durch Europa. Und Prostituierte …«
»Prostituierte mit einem Drogenproblem kommen immer wieder zu ihrem Dealer zurück«, erklärte Jacques und seufzte.
Sie starrte erst auf den einen, dann auf den anderen. Beide erwiderten ihren Blick.
»Na gut, ich verstehe – am Verschwinden all dieser Leute sind also Vampire schuld.«
Keiner der beiden sagte etwas oder verzog das Gesicht.
»Angeblich trinken Vampire Blut, aber sie fressen ihre Opfer doch nicht mit Haut und Haar, oder?«, fragte sie. »Wenn Vampire sich über diese Leute hergemacht hätten, dann hätte man ihre blutleeren Leichen finden müssen. Ihre trauernden Verwandten hätten sie beerdigt, und dann wären sie irgendwann aus ihren Gräbern gestiegen, und es würde immer mehr Vampire geben; sie würden aus allen Ritzen kriechen wie Kakerlaken.«
»Vampire trinken Blut, das stimmt«, sagte Brent.
»Da hast du’s«, meinte Tara zu ihrem Großvater.
»Aber weil sie ihr Überleben sichern wollen, lassen sie nicht überall Leichen herumliegen. Außerdem haben sie meist bestimmte Jagdgründe und schätzen es nicht, wenn ihnen dort Konkurrenz droht. Aber sie schaffen nur selten neue Artgenossen. Sie haben einen ziemlich starren Verhaltenskodex.«
»Einen Kodex? Gesetze? Regeln, wie sich Vampire verhalten sollen? Tut mir leid, von so einem Buch habe ich noch nie gehört.«
»Es gibt kein solches Buch, Tara, Sie können es nicht lesen. Aber Vampire formen eine Art Gesellschaft, die schon uralt ist, und es gibt Regeln und Gesetze, an die sich diese Geschöpfe halten, und zwar seit ewigen Zeiten.«
»Und Sie haben diese Gräfin ausgegraben, und jetzt ist sie ein Vampir?«
»Das war sie schon, bevor ich sie ausgegraben habe. Aber ja, jetzt läuft sie frei herum und treibt ihr Unwesen«, sagte Brent.
Sie starrte ihn fassungslos an, dann senkte sie den Kopf und schüttelte ihn. »Sie haben meinen Großvater schon gekannt, bevor Sie heute hergekommen sind«, stellte sie fest.
»Ja.«
»Tara …«, meinte Jacques.
Doch seine Enkelin fiel ihm ins Wort. »Sie sind schon vor längerer Zeit aufgetaucht, Malone, und haben meinem Großvater all diesen Unsinn eingeredet. Sie haben ihn dazu gebracht, gegen die Ausgrabung vorzugehen. Sie sind daran
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