Reich durch Hartz IV
Zuwendungen wiederhergestellt werden könne. Durch Diskussionen in Talkshows entsteht auch oft der Eindruck, der Wohlfahrtsstaat schraube seine Leistungen zurück. Es ist dann die Rede von zunehmender Armut, einer angeblich tief klaffenden Gerechtigkeitslücke. Auch sehr beliebt ist das Bild von der sich immer weiter öffnenden Schere zwischen »Arm und Reich«.
Dabei gibt der Staat jährlich rund 160 Milliarden Euro für Sozialleistungen aus. Das ist mehr als die Hälfte des gesamten Bundeshaushalts. Und die Reichen werden längst zur Kasse gebeten: Die zehn Prozent der Steuerzahler mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von mehr als 63 478 Euro tragen laut Statistischem Bundesamt rund 60 Prozent (58,1 Prozent) des Lohn- und Einkommensteueraufkommens. Auf 50 Prozent der steuerpflichtigen Bevölkerung gehen gerade mal rund vier Prozent (3,6 Prozent) des Steueraufkommens zurück.
Gabor Steingart, bis 2012 Chefredakteur des Handelsblatts und seit dem 1. Januar 2013 Herausgeber und Mitglied der Geschäftsführung der Verlagsgruppe Handelsblatt, unterstreicht dies eindrucksvoll in seinem Buch Das Ende der Normalität : »Wahr ist, der Wohlfahrtsstaat verdreifachte seine Ausgaben allein in den vergangenen 25 Jahren … Deutschland wird also immer sozialer. Die Steuer hat man den Armen nahezu komplett erlassen, das Arbeiten zum Teil auch. Jeder zweite Deutsche geht keinerlei Beschäftigung nach, sei es, dass er zu jung oder zu alt oder zu krank ist. Oder sich auch nur so fühlt … 80 Prozent der Einnahmen aus der Lohn- und Einkommensteuer stammen vom ›oberen Drittel‹ der Steuerbürger. Es handelt sich um jene Menschen, die man vorwurfsvoll die ›Besserverdiener‹ nennt. Die Wahrheit verhält sich also umgekehrt proportional zur Wahrnehmung: Täglich findet in Deutschland eine Umverteilung von oben nach unten statt. Die Kundschaft des deutschen Sozialstaats erfährt eine Fürsorglichkeit, wie wir sie sonst nur bei den Großfamilien der Urvölker antreffen, wo einer den anderen füttert.«
In Diskussionen wird gerne die These beschworen, der soziale Frieden stehe auf dem Spiel, sollte nicht umgehend der Hartz-IV-Satz erhöht und Menschen mehr »soziale Teilhabe« gewährt werden. Aber was genau ist soziale Teilhabe? In den meisten Theatern und Opernhäusern sind verbilligte Karten für Schüler, Studenten und Arbeitslose zu haben. Das gilt auch für städtische Schwimmbäder, in die der Eintritt oder für Bibliotheken, wo die Ausleihe von Büchern ermäßigt ist. Und was ist mit dem Cappuccino im Café, dem Geschenk für die Freundin oder dem Urlaub? Hartz IV bedeutet jedoch Grundsicherung und kann nicht heißen: Es gibt ein Rundum-sorglos-Paket. Denn das wäre ungerecht denen gegenüber, die jeden Tag zur Arbeit zuckeln und die »Grundsicherung« für andere mit ihren Beiträgen erarbeiten.
»Soziale Gerechtigkeit« lautet der Schlachtruf nicht nur der Linken, sondern auch der etablierten bürgerlichen Parteien. Und das bedeutet stets: die Forderung nach weiterer Umverteilung, ein ständiges Drehen an der Steuerschraube zugunsten der angeblich Zurückgebliebenen und Zukurzgekommenen. Menschen in Deutschland müssen für ihr Leben keine Verantwortung mehr übernehmen, sich nicht klar machen, dass es schwierig wird mit einer Lehrstelle, wenn sie die Schule ohne Abschluss verlassen. Und dass es wenig Aussicht auf einen Arbeitsplatz gibt, falls sie keinen Beruf erlernen. Oder dass eine Schwangerschaft ohne Partner eine schwere Belastung ist, ebenso wie es schwer werden könnte, zwei Haushalte zu finanzieren, wenn man sich scheiden lässt. Bei Problemen im Leben findet sich stets staatliche Unterstützung: ein Familienhelfer, Sozialpädagoge oder Jobmanager, der für die Erfüllung aller Bedürfnisse die Verantwortung übernimmt und auch gleich eine Entschuldigung dafür liefert, warum es bisher nicht klappen konnte mit dem Schulabschluss oder einer Berufsausbildung. Die schwere Kindheit, der verständnislose Lehrer, die kleine Wohnung, die bildungsferne Umgebung usw., usw.
Jeder zweite Langzeitarbeitslose hat keine Berufsausbildung. Und diese werden nicht mit Nachdruck ermuntert oder gar aufgefordert, einen Schulabschluss oder eine Ausbildung zu machen, weil sonst die Unterstützung gestrichen würde. Stattdessen wird eine breite Diskussion über bedingungsloses Grundeinkommen und Grundsicherung geführt. Davon völlig abgekoppelt wird die Frage, wer die erforderlichen Mittel eigentlich erarbeiten soll. Wenn
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