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Reich durch Hartz IV

Reich durch Hartz IV

Titel: Reich durch Hartz IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Knobel-Ulrich
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Das Thyssen-Casting
    Die Idee klingt verheißungsvoll und verspricht Vorteile für alle Seiten – auf Neudeutsch eine Win-win-Situation: ThyssenKrupp Xervon will Arbeitslose als Gerüstbauer einstellen. Die werden nämlich dringend gesucht. Einzige Bedingung dafür ist die Teilnahme der Bewerber an einer Qualifizierungsmaßnahme. Dass es bei diesem Geschäft aber vor allem einen Gewinner gibt, wird mir ziemlich schnell klar, als ich mich an einem verregneten Februarmorgen im Betriebsgebäude von ThyssenKrupp Xervon einfinde, um 50 junge Männer bei ihrem Casting zu begleiten – so der euphorische Name der Veranstaltung. Hier sitzt aber keine Heidi Klum, die »Germany’s next Topmodel« sucht, sondern Eckart Hauschild, ein Mann von ThyssenKrupp. In Gruppen von bis zu 20 betreten die Bewerber einen kleinen Raum mit zwei Tischen, an denen der Betriebsleiter, ein Betriebsratsmitglied und ein Ausrüster Platz genommen haben. Hauschild hält erst mal eine kleine Rede: »Wir brauchen für große Bauvorhaben in Norddeutschland sehr dringend Gerüstbauhelfer.« Er guckt die vor ihm stehenden Männer dabei eindringlich an. »Und genau deswegen haben wir uns mit dem Jobcenter zusammengesetzt. Wir bieten Ihnen eine viermonatige Ausbildung. Zwei Monate üben plus Theorie, dann folgt ein Praktikum. Wer sich gut anstellt, bekommt anschließend einen Arbeitsvertrag – erst mal für ein Jahr.«
    Was der Thyssen-Mann unter den Tisch fallen lässt: die Firma zahlt den Praktikanten kein Ausbildungsgeld, ja nicht einmal der Ausbilder steht auf der Gehaltsliste von ThyssenKrupp. Für die ersten zwei Monate theoretische Vorbereitung ist ein sogenannter Bildungsträger zuständig. In diesem Fall die Hamburger Stiftung für berufliche Bildung, kurz SBB. Als Unternehmen kümmert sie sich um die Qualifizierung zukünftiger Arbeitnehmer und stellt dafür Konzepte und entsprechendes Personal zur Verfügung. Die Rechnung übernimmt großzügig Vater Staat in Gestalt des Jobcenters. ThyssenKrupp muss unter den Bewerbern nur noch die richtigen herauspicken.
    Die 50 Kandidaten werden im Schnellverfahren an der »Jury« vorbeigeschleust. Jeder soll in drei Sätzen erklären, warum er sich für geeignet hält und welche Vorbildung er hat. Philip Kay, der Mann vom Jobcenter Hamburg, ist heute nur Zuschauer. Er steht breitbeinig da, betrachtet das Casting und ärgert sich über seine Kollegen aus der Arbeitsvermittlung, die nicht genau zugehört haben, als er die Anforderungen beschrieb. Motivierte, kräftige junge Männer würden gesucht, hat er ihnen ausdrücklich gesagt. Da fällt so mancher Bewerber schon auf den ersten Blick durchs Raster. Mit denen hält sich Eckart Hauschild auch nicht lange auf. »Ich glaube«, sagt er und schaut einem Kandidaten mit roter Nase und verquollenem Gesicht in die Augen, »mit uns hat es keinen Zweck.« Wortlos erhebt dieser sich und geht. Auch wer kein Deutsch kann, wird nicht zugelassen. »Das ist ein Sicherheitsrisiko«, brummt der Thyssen-Mann und schüttelt resigniert den Kopf. Warum bloß schickt das Jobcenter solche Leute überhaupt zum Casting? Frage klar, Antwort nebulös.
    Einige Bewerber, die infrage kommen, wollen jetzt wissen, ob sie eine Ausbildungsbeihilfe bekommen und irgendwann einen unbefristeten Arbeitsvertrag. »Nein«, erklärt Eckart Hauschild ohne Umschweife, »es gibt kein Gehalt und keine Ausbildungsvergütung von Thyssen. Auch nicht, wenn Sie das Praktikum machen. Sie bleiben auf der Payroll des Jobcenters.« Die Stahlindustrie lässt sich die Ausbildung ihrer zukünftigen Mitarbeiter also ohne adäquate Gegenleistung vom Jobcenter finanzieren. Noch nicht einmal ein Teil der Kosten wird von Thyssen übernommen, obwohl die Gerüstbauhelfer nach ihrer Ausbildung schließlich für den Konzern arbeiten sollen und dringend gebraucht werden.
    Warum zahlt Thyssen die Ausbildung der künftigen Arbeitskräfte nicht selbst, will ich von Philip Kay wissen. Er druckst ein bisschen herum: »Natürlich könnte man dem Arbeitgeber sagen: mach’s selber. Aber die sind auf uns zugekommen, haben gesagt, dass sie Bedarf an Arbeitskräften haben und haben gemeint: Bitte qualifiziert die Leute. Wir nehmen sie Ihnen ab. Ich habe herausgehört, dass Sie das nicht selbst können.« Wirklich nicht? Freimütig räumt Eckart Hauschild ein: »Wir haben gern die Situation, fertig ausgebildete Leute zu bekommen. Da gibt’s die Möglichkeit der Kooperation mit der Jobagentur, und das nutzen wir eben aus.«

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