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Reich und tot

Reich und tot

Titel: Reich und tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Zwischenstadium gegen ein, zwei lockere Tage. Eine Nutte kam um die Ecke, als er wieder nach draußen sah. Kurzer Rock, Fick-mich-Stöckel, goldene Handtasche. Er spürte den Rauch tief in der Lunge und beobachtete, wie sie am Bordstein entlang und schließlich zurück zur geweißelten Wand vom »Bricklayer’s Arms« wackelte. Die versuchten immer noch, ihre ausgeleierten Mösen zu verhökern, dachte er. Wann würden sie’s endlich kapieren? Ein aufgemotztes, verbeultes Golf-Cabrio kam mit kreischenden Bremsen vor Londis zum Stehen. Ein elendgroßer junger Typ sprang raus, seine drei Kumpel blieben im Auto hocken. Die rasierten Köpfe wippten im Takt von Fatboy Slim.
Wumm, wumm, wuwu, wumm.
Er nahm sich eine Dose Special Brew aus der Plastiktüte, die er aufs Bett gelegt hatte. Noch ein Luxus, der nur deshalb erlaubt war, weil er wusste, dass er ihn nicht brauchte. EinKämpfer musste sich immer selbst trauen können. Als er sich erneut dem Fenster zuwandte, sprang der junge Typ gerade mit einem Sechserpack zurück in den Golf, während sich der Fahrer bereits wieder in den Verkehr einfädelte, die Beifahrertür weit offen. Johnson sah zu, wie sich der Typ auf den Sitz fallen ließ und der Golf mit quietschenden Reifen davonschoss. Alles fängt mit der Beobachtung an, dachte er. Genau wie Musashi sagte: »Große Menschen müssen den Geist der kleinen Menschen kennen.«
     
    Chief Inspector Frank Jacobson ließ sich mit einem dicken Buch, einem Glas voller Eis und einer Flasche Glenfiddich auf seinem Balkon nieder. Es gab da gerade genug Platz für seinen Liegestuhl und das kränkelnde Fensterblatt, seine einzige Topfpflanze. Aber mehr Raum brauchte er auch nicht. Jacobsons Wohnung, sein »Apartment«, wie der Makler nicht müde geworden war zu sagen, hatte Fenster nach vorn und nach hinten hinaus, und vom Balkon sah man auf den Park statt auf die Straße. Nachdem die Wunden der Scheidung vernarbt gewesen waren und das Familienhaus verkauft, hatte sich Jacobson endlich die Junggesellenbude geleistet, von der er immer geträumt hatte. Dreißig Jahre zu spät, dachte er betrübt. Gesehen, gekauft. Er hatte gleich ein Angebot gemacht und die Wohnung mit allem übernommen, was der Vorbesitzer zurücklassen wollte. Jacobson hatte kaum Zeit und war absolut kein Heimwerker, und er mochte die Räume so, wie sie waren: gedämpft beleuchtet, mit viel schwarzem Leder, minimalistisch.
    Natürlich hatte die Wohnung auch Haken: Das Paar über ihm zum Beispiel, das im Bett noch mehr Lärm produzierte als bei den lautstarken Beschimpfungen, dieder Versöhnung vorausgingen. Und dann war der Wellington Drive leider auch nicht der River Walk und der Wellington Park nicht der Memorial Park. Nachts bestand immer die Gefahr, dass man von betrunkenen, krakeelenden, Flaschen zertrümmernden Studenten der Crowby University geweckt wurde, die auf dem Weg zu ihrem mehrstöckigen Wohnheim die Abkürzung durch den Park. Tagsüber war es jedoch äußerst angenehm, auf die Bäume hinauszusehen, auf Eichhörnchen und Leute, die ihre Hunde ausführten. Jacobson atmete tief ein. Es war wunderbar zu spüren, wie sich die Luft langsam abkühlte. Alles in allem fühlte er sich hier seit seiner Trennung von Janice erstmals wieder zu Hause.
    Er las einen halben Absatz, nahm sein Glas und rührte die Eiswürfel mit dem Finger um, bevor er einen Schluck trank: Als wäre das Würfelklicken das Hauptvergnügen und das Trinken zweitrangig. ›Heiden und Christen‹ von Robin Lane Fox hatte er vor Jahren komplett gelesen, und er blätterte immer wieder gerne darin herum. Besonders jetzt, wo Nîmes und Arles noch so frisch in seinem Gedächtnis waren. Noch mehr als die relativ jungen Römer faszinierten Jacobson die Sumerer und Babylonier, doch der Iran und der Irak waren für einen englischen Polizisten natürlich heikle Reiseziele. Er schlug das Register auf und suchte nach dem Mithras-Kult, der, wie er wusste, in der Armee besonders beliebt gewesen war. Er stellte sich gerne einen mithrischen Centurio vor, allein in der Ferne, gestützt nur durch seinen Glauben. Jacobson beneidete alle Gläubigen um ihre Sicherheit. Mithras hatte den göttlichen Stier getötet und alle guten Dinge der materiellen Welt möglich gemacht, und er hatte, was einer anderen Religion durchauszupasskam, am fünfundzwanzigsten Dezember Geburtstag.
    Das Päckchen B&H lag auf dem kleinen Tisch neben seinem Feuerzeug, das ihm seine Exfrau Janice in einem anderen Leben gekauft hatte. Das

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