Reich und tot
cleverer als gedacht, wenn auch nicht clever genug, um die fette Schnecke abzuservieren. Gus betrachtete die aufgedunsenen Finger, mit denen sie das Champagnerglas zum Mund führte. Vor zwanzig Jahren hatte sie vielleicht gar nicht so schlecht ausgesehen, mittlerweile aber nahmen die Hängebacken ihren braunen Augen und dem glänzenden rotbraunen Haar jeden Reiz. Ihr größtes Problem in Frankreich, erklärte sie ihnen, sei der nicht abreißen wollende Strom von Tagesausflüglern zum Pont du Gare gewesen.
»Dieses Benehmen der Leute, die da per Bus herangekarrt werden ... wirklich. Solche Menschen würde man eher in den spanischen Touristenfallen als im Midi erwarten.«
Der Gedanke, dass ein paar bierselige englische Rüpel Schullehrern und Sozialarbeitern den Blick verdarben, gefiel Gus sehr, aber er hielt lieber den Mund. Stattdessen schenkte er seinen drei Tischgenossen sein breitestes Grinsen und hob das Glas.
»Auf den Erfolg«, sagte er, kam damit auf Japan zurück und gemahnte sich, keinesfalls auf die eigene, gerade erst gekaufte Villa in Playa d’Aro zu sprechen zu kommen.
Ein Menügang folgte auf den anderen, und das Gespräch verebbte immer mehr. Walsh erzählte eine nervige Anekdote über japanische Manager und deren Neigung, sich in aller Öffentlichkeit schamlos zu betrinken. Jenny warf einen Blick auf Gus und sah, dass er kein Wort mitbekam. Aller Wahrscheinlichkeit nach war er ganz auf Geoffrey Trayner fixiert und fragte sich, wannder endlich herauskommen würde. Über das Stimmengewirr und Gelächter hinweg drang Musik herüber, Live-Jazz von einer Band jenseits des Irrgartens. Die Combo, die in der Nähe des Grills Fleetwood Mac coverte, hatte ihre Verstärker geschmackvoll leise gestellt. Eine dritte musikalische Alternative, After-Dinner-Barock von einem Kammerorchester, sollte es nach Kaffee und Likör drüben im Zelt geben.
Unterwegs zum Zelt bediente sich Jenny bei einem vorbeikommenden Kellner mit einem weiteren Glas Champagner. Höchstens noch zwei, dachte sie: Dann würde sie beflügelt genug sein, um zu sagen, was gesagt werden musste, aber doch noch so nüchtern, um auf sich aufpassen zu können. Früher einmal, dachte sie, hatte sie genau wie Gus geglaubt, all das hier zu brauchen. Hier war keiner arm, hier war für jeden das Beste gerade gut genug. Diane Coulter, Jennys Zahnärztin, lächelte ihr zu, als sie das Zelt betraten. »Wir spüren Rezessionen nicht«, hörte Jenny sie zu ihrem Begleiter sagen. Als hätte ihr Beruf nichts mit Medizin und Menschen, sondern allein mit Börsenkursen zu tun. Erst Kevin hatte Jenny gezeigt, dass es jenseits der Triade aus Stinkreichen, Hypothekensklaven und armen Schluckern noch anderes gab – Spielräume für Möglichkeiten, Risse in der Wand, durch die Licht einfiel.
Knietief zwischen Blumenkübeln fand das Orchester seinen Rhythmus. Gus legte seine heiße, verschwitzte Hand unten auf ihren freien Rücken.
»Was spielen die, Jen?«, fragte er sie.
»Vivaldi, eines der Cellokonzerte«, log sie, hauptsächlich, weil sie sich das Vergnügen gönnen wollte, Pamela nicken zu sehen, ganz so, als könnte sie Vivaldi von ›Grease‹ unterscheiden. Oder Albinoni in diesem Fall.Mit der freien Hand holte Gus eine Schachtel Zigarren aus der Tasche seines Dinnerjackets und bot Walsh eine an. Das ist meine Kleine, dachte er jetzt sicher. Auch wenn er zwei Jahre nach der Hochzeit aufgehört hatte, mit ihr zu schlafen, genoss er es immer noch, wenn alte Säcke wie Charlie-Boy sie mit Blicken auszogen, sobald sie sich unbeobachtet fühlten. Sie beugte sich vor, um die Hacke ihres Schuhs zurechtzurücken, halb darauf hoffend, dass Walshs cholesterinrotes Gesicht beim Blick in ihren Ausschnitt in eine letzte Zuckung verfiel. Dass sie sich auch kulturell auskannte und die Snobs auf ihrem eigenen Feld schlagen konnte, das war für Gus immer das köstliche i-Tüpfelchen gewesen. Tja, schade, dachte sie, aber ich bin nicht schuld daran, dass es zwischen uns heute so steht.
Da Trayner nirgends zu sehen war, wollte Gus offenbar wieder hinaus aus dem Zelt, weg von den Walshes. Jenny schlug einen Spaziergang zum See hinunter vor, weil sie hoffte, da eine ruhige Minute mit ihm zu finden. Aber er dachte gar nicht daran und sah sie an, als hätte sie nicht alle Tassen im Schrank.
»Ich bin hier, um Verbindungen zu knüpfen, Jen, und nicht, weil ich mir im Mondlicht ein paar verfluchte Schwäne angucken will«, zischte er ihr zu.
Sie entschuldigten sich, und
Weitere Kostenlose Bücher