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Reich und tot

Reich und tot

Titel: Reich und tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Jenny folgte ihm ins Haus, wo in der Bibliothek bereits die Wohltätigkeitsauktion angefangen hatte. Gus wollte gleich hinein und ein paar Scheine sehen lassen, aber sie zog ihn am Ärmel, und es gelang ihr tatsächlich, ihn aufzuhalten. Er starrte sie an, bereits leicht gereizt, sein Kopf wirkte wie geschrumpft unter dem großen, apokalyptischen Gemälde von John Martin. Etwas in ihren Augen sagte ihm, dass er ihr zuhören sollte.
    Die Ohrfeige schallte laut die Marmortreppe empor, bis hinauf zu den Kronleuchtern. Dann zog er sie bei den Haaren hinter sich her, als wollte er ihr die Kopfhaut herunterreißen, teilte die Menge der Festgäste wie Moses das Wasser und schleuderte sie auf den Rücksitz des Mercedes. Bob Hicks’ Reaktion überraschte Jenny. Er stieg aus dem Wagen, sagte Gus, es sei eine Schande, und weigerte sich zu fahren. Zwei junge Männer versuchten dazwischenzugehen, aber der eine war hoffnungslos betrunken, und der andere trug eine Brille und war Gus körperlich nicht ansatzweise gewachsen. Gus versetzte beiden einen Kopfstoß und dem zu Boden gehenden Betrunkenen auch noch einen völlig überflüssigen Tritt.
    Sie hörte, wie die Türen verriegelt wurden, und spürte den Wagen davonschießen. Sie riss an seinem Kopf und versuchte, ihm die Nägel ins Fleisch zu graben, aber er bremste, drehte sich um und schlug ihr ins Gesicht. Seine Faust näherte sich ihr wie in Zeitlupe, weiße Knöchel, die langsam, ganz langsam auf sie zukamen. Sie dachte es nur, denn sie bekam keine Chance mehr, es laut auszusprechen:
Du musst mich umbringen, wenn du mich aufhalten willst.

4
    Jacobson instruierte einen Constable, den Postboten mit seinem Postauto zurück ins Depot zu bringen, aber vorher wollte er dem Mann noch persönlich danken. Er hatte schon Polizisten erlebt, die sich als erste Zeugen am Ort eines Verbrechens längst nicht so klug verhalten hatten. Der Briefträger hatte nicht nur die genaue Zeit seines grausigen Fundes aufgeschrieben – acht Uhr vierzig morgens   –, sondern auch genug Grips gehabt, seine Tabakdose als Spiegel zu benutzen und vor Nase und Mund zu halten, um zu sehen, ob sie noch atmete, was jedoch nicht der Fall gewesen war. Angerührt oder bewegt hatte er nichts. Dass der Ärmste jetzt zitterte wie Espenlaub, schmälerte Jacobsons Hochachtung in keiner Weise. Als es darauf ankam, hatte der Mann einen klaren Kopf bewahrt.
    »Normalerweise stecke ich alles in den Briefkasten am Tor, aber heute war ein Einschreiben dabei, verstehen Sie.«
    Jacobson verstand es bestens: Eine einfache Fügung des Schicksals brachte jemanden zu einer bestimmten Zeit an einen bestimmten Ort und machte so aus einem simplen Passanten einen Hauptzeugen. Er nickte durch das Fenster des Postautos, als der Constable den Motor anließ und den Rückwärtsgang suchte.
    »Ruhen Sie sich aus, wenn Sie nach Hause kommen. Sagen Sie Ihrer Frau, dass Sie auf Anweisung der Polizei einen Whisky trinken sollen.«
    Das Postauto fuhr rückwärts die Einfahrt hinunter. Fast widerstrebend wandte sich Jacobson dem blau-weißen Polizeiband zu, mit dem der Bereich vorm Haus abgesperrt war.
    Der junge Robinson wartete auf ihn, groß und leicht bucklig von all den Nächten, die er über seine Fachbücher gebeugt verbracht hatte. Das war nach der Geistesgegenwart des Postboten bereits der zweite Trost an diesem Morgen: Professor Merchant war, wie man hörte, immer noch in der Toskana und sollte auch noch zwei weitere Wochen dort bleiben. Eine gute Nachricht für die Krankenschwestern hier, dachte Jacobson, eine schlechte für die italienischen Hausmädchen. Dass Robinson noch nicht die Erfahrung und das Gespür seines Chefs hatte, wurde für alle, die mit ihm zusammenarbeiteten, mehr als üppig dadurch kompensiert, dass ihm auch dessen Egomanie und Arroganz vollkommen fehlten. Soweit Jacobson es beurteilen konnte, hatte Robinson keinerlei verborgene Kehrseite: Innen und außen schienen bei ihm in schönstem Einklang zu sein.
    Der nackte Körper lag bewegungslos auf dem rötlichen Kies. Jacobson hatte bereits in die vortretenden, mausetoten Augen geblickt, hörte sich aber trotzdem an, mit welchen Fachtermini Robinson das Offensichtliche kommentierte. Die blauen Ohren, Lippen und Fingernägel zeugten von etwas, das man Zyanose nenne, ein sicheres Zeichen, dass die Tote erwürgt worden sei. Dazu passten auch die beiden lila Flecken seitlich am Hals, beide so groß wie die Daumen körperlich arbeitender Menschen. Nicht zu vergessen das

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