Reif für die Insel
Schlafengehen heim.
In heiterer, erwartungsfroher Stimmung fuhren wir durch den frühmorgendlichen Nebel, ein munterer Haufen in der gemütlichen Enge von zwei Eisenbahnwagen. In Inverness war Endstation, und wir drängelten hinaus, die Damen, um ihre Einkäufe zu tätigen, ich, um in den 10.35 nach Glasgow umzusteigen. Als ich sie so fortgehen sah, merkte ich überrascht, daß ich sie richtiggehend beneidete. Wahnsinn, da standen sie mitten in der Nacht auf, kamen erst um zehn Uhr abends wieder nach Hause, und doch hatte ich noch nie Menschen gesehen, die so fröhlich zum Einkaufen fuhren.
Der kleine Zug nach Glasgow war fast leer und die Landschaft überaus malerisch. Wir fuhren durch Aviemore, Pitlochry, Perth und weiter nach Gleneagles, das einen hübschen, nun leider verrammelten Bahnhof hatte. Und dann, mehr als acht Stunden, nachdem ich mich an dem Morgen aus dem Bett gequält hatte, waren wir in Glasgow. Nach so vielen Stunden Fahrt kam es mir komisch vor, aus der Queen Street Station zu treten und immer noch in Schottland zu sein.
Wenigstens haute es mich diesmal nicht um. Ich weiß noch, wie entsetzt ich war, als ich 1973 zum erstenmal in Glasgow aus ebendiesem Bahnhof kam und sah, wie erstickend dunkel und rußgeschwärzt alles war. Eine solch stickige, dreckige Stadt hatte ich noch nie erlebt. Alles kam mir düster und freudlos vor. Selbst der Akzent dort klang nach Schlacke und Grus. Die St. Mungo-Kathedrale war so schwarz, daß sie sogar von der gegenüberliegenden
Straßenseite wie ein Scherenschnitt aussah. Und es gab keine Touristen – überhaupt keine. Glasgow war die Hauptstadt von Schottland, aber mein Europareiseführer Let’s go erwähnte es nicht einmal.
In den folgenden Jahren hat Glasgow natürlich eine sensationelle, vielgerühmte Verwandlung durchlaufen. Im Stadtzentrum sind die alten Gebäude dutzendweise saubergeblasen und liebevoll poliert worden, so daß die Granitflächen wieder glänzen. In den Jahren des schwindelerregenden Booms der Achtziger wurden tatkräftig weitere Dutzend errichtet – allein im letzten Jahrzehnt Bürogebäude für mehr als 1 Milliarde Pfund. Mit der Burrell Collection legte die Stadt sich eines der feinsten Museen der Welt zu und mit dem Princes Square-Einkaufszentrum eines der intelligentesten Beispiele an Stadterneuerung. Vorsichtig kam die Welt plötzlich nach Glasgow und entdeckte prompt und zu ihrem Entzücken, daß diese Stadt mit herrlichen Museen, netten Pubs, Weltklasseorchestern und nicht weniger als siebzig Parks gesegnet war, reichlicher als jede andere Stadt dieser Größe in Europa. 1990 war Glasgow Kulturhauptstadt Europas, und keiner hat gelacht. Noch nie zuvor hatte sich der Ruf einer Stadt so jäh und so dramatisch gewandelt – und meiner Ansicht nach verdient es auch keine mehr als Glasgow.
Ich bin außerdem der Meinung, daß unter den vielen Schätzen der Stadt keiner mit der Burrell Collection mithalten kann. Nachdem ich im Hotel eingecheckt hatte, fuhr ich, weil sie so weit draußen ist, schnell mit dem Taxi hin.
» D’ye nae a lang roon? « sagte der Fahrer, als wir über Clydebank und Oban auf einer Autobahn Richtung Pollok Park rasten.
»Verzeihung«, sagte ich, denn ich spreche kein »Glaswegian«.
» D’ye dack ma fanny? «
Wie ich es hasse, wenn ein Mensch aus Glasgow mit mir spricht. »Verzeihung«, sagte ich und suchte fieberhaft nach einer Ausrede. »Ich höre sehr schlecht.«
» Aye, ye nae hae doon a lang roon « , sagte er. Ich glaube, es bedeutete: »Ich mache jetzt mit Ihnen einen ganz weiten Umweg und schaue Sie ganz oft mit bedrohlichen Blicken an, damit Sie sich allmählich fragen, ob ich Sie zu einem leerstehenden Lagerhaus bringe, wo Freunde von mir darauf warten, Sie zu verprügeln und Ihnen Ihr Geld abzunehmen.« Aber sonst sagte er nichts mehr und lieferte mich ohne weitere Vorkommnisse am Museum ab.
Wie sehr ich die Burrell Collection mag! Sie ist nach Sir William Burrell benannt, einem schottischen Reeder, der 1944 der Stadt seine Gemäldesammlung mit der Auflage hinterließ, sie in ländlicher Umgebung innerhalb der Stadtgrenzen unterzubringen. Er hatte – nicht unbegründet – Angst, daß die Luftverschmutzung seinen Kunstwerken Schaden zufügen würde. Unfähig, zu entscheiden, was man mit diesem üppigen Überraschungsgeschenk anfan-gen sollte, tat man erstaunlicherweise nichts. Die nächsten neununddreißig Jahre lagen einige wahrhaft außergewöhnliche Objekte fast vergessen in Kisten
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