Reif für die Insel
es ihm einfiel. Das brachte mich doch ein wenig aus dem Konzept. Man hört nicht oft, daß Yorkshire als »da unten im Süden« bezeichnet wird.
»Sind das von hier aus nicht alle Orte?« fragte ich.
»Nun ja, wahrscheinlich«, sagte er, als sei er auf etwas selten Tiefgründiges gestoßen.
Er war ein freundlicher Bursche – in Thurso sind alle Leute freundlich –, und während er die umfangreiche Bürokratie erledigte, ohne die er mir die Verantwortung für zwei Tonnen gefahrlichen Metalls nicht übertragen konnte, plauderten wir angeregt über das Leben in diesem entfernten Außenposten der Zivilisation. Mit dem Auto dauerte es sechzehn Stunden nach London, nicht, daß jemals jemand dorthin fuhr, erzählte er. Für die meisten Leute sei Inverness, vier Stunden mit dem Wagen, die südliche Grenze der bekannten Welt.
Mir kam es vor, als hätte ich seit Monaten mit niemandem gesprochen, und ich laberte ihn mit Fragen zu. Womit verdienten sich die Leute in Thurso ihren Lebensunterhalt? Wieso war die Burg so verfallen? Wo fuhren sie hin, wenn sie ein Sofa kaufen, einen Film sehen oder ein chinesisches Gericht essen wollten, das nicht ein Schotte gekocht hatte, oder wenn sie sonst etwas erleben wollten, das jenseits der bescheidenen Vergnügungs-möglichkeiten lag, die der Ort bot?
Und ich erfuhr, daß Thurso wirtschaftlich von dem unweit gelegenen Atommeiler in Dounreay am Leben erhalten wurde, daß die Burg einst wohlerhalten und wunderschön gewesen war, der exzentrische Besitzer sie aber verfallen lassen hatte, und daß Inverness ein durchaus aufregendes Pflaster war. Darob muß ich zartes Erstaunen verraten haben, denn er lächelte und sagte schmunzelnd: »Na ja, dort gibt es ein Marks & Spencer.«
Dann nahm er mich mit nach draußen, setzte mich in den Fahrersitz eines Ford Thesauraus (oder was weiß ich, ich bin bei Autonamen nicht sehr gut), erklärte mir in aller Kürze die vielen beweglichen Hebel und Armaturen-brettknöpfe und sah mir dann mit starrem, nervösem Lächeln zu, wie ich Schalter und Regler betätigte, die dafür sorgten, daß die Rückenlehne von meinem Rücken wegschoß, der Kofferraum aufsprang, die Scheiben wischer auf Platzregenstufe schalteten, und ich mir mit einem quälenden Knirschen der Gänge und etlichen ruckartigen Bewegungen einen neuen, reichlich holprigen Pfad vom Parkplatz bahnte und die Straße erreichte.
Sekunden später, denn so winzig ist Thurso, war ich auf der offenen Landstraße und bewegte mich wohlgemut auf John O’Groats zu. Es war eine faszinierend leere Landschaft. Eigentlich nur wogende winterbleiche Wiesen, die bis zu der tosenden See hinunterreichten, und die im Dunst liegenden Orkney-Inseln dahinter, aber das Gefühl der Weite und Offenheit brachte mich in Hochstimmung, und zum erstenmal seit Jahren fühlte ich mich vergleichsweise sicher hinter einem Steuerrad. Es gab überhaupt nichts zum Hineinkrachen.
Wenn man in den äußersten Norden Schottlands kommt, ist man wirklich völlig abseits vom Schuß. In ganz Caithness leben nur 27000 Menschen – in etwa die Bevölkerung von Haywards Heath oder Eastleigh in einem Gebiet, das beträchtlich größer ist als die meisten englischen Grafschaften. Die beiden Städte Thurso und Wick stellen mehr als die Hälfte dieser Bevölkerung und John O’Groats überhaupt keine, denn es ist keine Gemeinde, sondern nur eine Stelle, wo man anhalten und Postkarten und Eis kaufen kann.
Sie heißt nach Jan de Groot, einem Holländer, der im fünfzehnten Jahrhundert dort einen Fährbetrieb unterhielt. (Wenn er halbwegs bei Sinnen war, nach Amsterdam.) Offenbar nahm er 4 Pence, und in der Gegend wird erzählt, daß diese Summe von da an als Groat bekannt wurde, aber leider ist es eine rührende Erfindung. Wahrscheinlicher ist, daß der Holländer nach der alten englischen Silbermünze Groat benannt wurde, und nicht umgekehrt. Aber egal, wen interessiert das schon?
Heute besteht John O’Groats aus einem geräumigen Parkplatz, einem kleinen Hafen, einem einsamen weißen Hotel, ein paar Eisbuden und drei oder vier Läden, die Postkarten, Pullover und Videos von einem Sänger namens Tommy Scott verhökern. Angeblich war auch ein berühmter Wegweiser dort, mit den Angaben, wie weit es nach Sydney und Los Angeles ist, aber ich habe ihn nicht gefunden. Vielleicht nehmen sie ihn außerhalb der Saison weg, damit Leute wie ich ihn nicht als Souvenir mitgehen lassen. Nur ein Laden war auf. Ich ging hinein und war überrascht, daß
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