Rein Wie Der Tod
bestätigt. Sie war arm. Die meisten Kleidungsstücke sahen selbst geschneidert aus. Ganz unten: ein paar Kangas und Batik-Stoffe. Der Schmuck war typisch afrikanisch, mit großen Formen und starken Farben.
Er bemerkte, dass die junge Pakistanerin sich unruhig bewegte. »Ist okay«, sagte er. »Ich komme allein zurecht.«
Sie ging.
Er kippte den Inhalt des Koffers auf das Bett und entdeckte zwei Gefahrensignale. Ein Portemonnaie mit Geldscheinen und eine gut ausgestattete Kulturtasche. Sie war verschwunden, ohne ihre Toilettenartikel mitzunehmen, ohne ihr Geld in Sicherheit zu bringen. Der Koffer war vollgestopft. Es war unwahrscheinlich, dass sie Kleidung zum Wechseln dabei hatte. Die Wahrscheinlichkeit, dass Rosalind M'Taya aus freiem Willen verschwunden war, war damit deutlich gesunken.
Er stellte sich ans Fenster. Sah auf den Park hinunter mit seinen Wegen, Rasenflächen und großen Bäumen. Entdeckte Gruppen von Studenten verschiedenster Nationalität. Eine größere Gruppe saß in einem Kreis auf dem Rasen. Freiluftunterricht.
Plötzlich lief ihm ein Schauer über den Rücken, und er drehte sich wieder ins Zimmer. Es war, als hätte ihm jemand über die Schulter gestrichen. Ein quietschendes lautes Geräusch ertönte. In der nächsten Sekunde war es vorbei. Dann erfüllten die Geräusche den Raum erneut: Einer oder mehrere Menschen kochten nebenan in der Küche. Mehrere Wände entfernt rief ein Mann etwas, und es rauschte in einem Rohr.
Er schüttelte das Gefühl ab.
Draußen vor dem Haus blieb er stehen und betrachtete die schöne Gartenanlage. Als er selbst Student war, wurde allgemein angenommen, dass die Bewohner des Studentenheims ihre Zimmer auf unehrenhafte Weise bekommen hatten. Wer in einem Haus wohnte, das an einen Gutshof erinnerte, nur einen Steinwurf von der Universität entfernt, hatte extremes Glück gehabt.
Er dachte: Das Problem ist, dass Rosalind M'Taya alle möglichen Leute getroffen haben kann, als sie am Freitag ausging. Vielleicht war sie ins Zentrum gefahren. Höchstwahrscheinlich hatte sie sich an Studierende gehalten, die ihr schon ein wenig vertraut waren. Das bedeutete also mit einem Foto herumgehen und in den Läden und Cafés fragen ...
Dazu hatte er jetzt keinen Nerv. Er musste nach Hause und schlafen.
3
Es war fünf Uhr nachmittags, als sein Handy ihn weckte. Er blieb im Bett liegen und fragte sich, warum er den Weckruf eingeschaltet hatte. Dann erinnerte er sich an die Feier.
Frank hatte mehrere Jahre keinen Kontakt mehr zu Karl Anders Fransgård gehabt und war deshalb ziemlich überrascht gewesen, als er die Einladung zu dessen Vierzigstem bekam. Als Teenager waren sie fast unzertrennlich gewesen, aber als Erwachsene hatten sie sich kaum noch gesehen.
Sie hatten sich in der Mittelstufe kennengelernt und über das gemeinsame Interesse für Modellflugzeuge und Mechanik miteinander angefreundet. Einmal hatte Frank zu Weihnachten einen kleinen Propellermotor bekommen. Er befestigte ihn an seinem Schreibtisch, füllte ihn mit Naphthalin und setzte ihn in Bewegung, indem er den Propeller mit dem Zeigefinger anstieß. Einen Verbrennungsmotor auf diese Weise zu starten, die richtige Mischung aus Benzin und Luft zu finden und ihn dann rund laufen zu lassen, war das höchste Glück seiner Kindertage. Aber das Interesse seines Kumpels für Flugzeuge reichte weit über die Modellmotoren hinaus. Karl Anders war fasziniert von der Technik der Jetmotoren und Propellermaschinen. Sein Zimmer war voll von Büchern über Flugzeugmodelle, das Leben und Streben der Pionierflieger und über Flugzeugbaugeschichte. Außerdem sammelte er alte Filmausschnitte: Roald Amundsen in Seehundkleidung winkend vor der Latham, bevor er an Bord ging, um nach Umberto Nobile zu suchen, sowie das Luftschiff Hindenburg, das über New York in Brand geraten war, und Lindbergh in seinem Flugzeug namens Jenny. Schon damals sah Karl Anders' Zimmer aus wie ein kleines Flugzeugmuseum.
Alle dachten, Karl Anders würde Pilot werden, aber eine Schwäche seiner Farbsehkraft führte dazu, dass er seinen Traum nicht verwirklichen konnte.
Ihre Wege hatten sich getrennt. Jedes Mal, wenn seine Gedanken das Ereignis streiften, spürte Frank einen kühlen Schauer seinen Rücken hinunterlaufen. Aber es ist lange her, sagte er zu sich selbst und stand auf. Ging im Zimmer auf und ab, wie er es immer tat, wenn solche Erinnerungen ihn überfielen. Versuchte, das Unbehagen in Bewegung umzusetzen und loszuwerden.
Über Umwege
Weitere Kostenlose Bücher