Reingekracht: Familien-Bullshit-Bingo (German Edition)
aufs Knie gelegt. Dass ich das nicht machte war eine erstaunliche Meisterleistung angesichts der Tatsache, dass alles, was Rang und Namen trug, mein Gehirn verlassen hatte. Wie in einem spontan gestürmten Büro segelten vereinzelt Papiere durch die Luft, aber alle waren bereits abgehauen, um im Erdgeschoss eine wilde Party zu feiern.
Der Wagen wollte sich gar nicht richtig in Bewegung setzen. Julia kurbelte am Lenkrad herum und verfluchte die fehlende Servolenkung. Onkel Wolfgang tupfte mit einem Stofftaschentuch Schweiß von seiner Stirn und drehte dann mit ganzem Körpereinsatz seinen Kopf, um den Blick auf Patrick und mich zu werfen.
„Na so was, Nino, du bringst deinen Freund mit?“, freute er sich. Ich hielt die Luft an. Nichts an seiner Stimme hatte verraten, dass er das zum Scherz sagte – ganz im Gegenteil. Als wäre es das Normalste auf der ganzen Welt, dass sein Neffe mit einem Mann auf einer Familienfeier aufkreuzte. Noch schlimmer war, dass weder Julia noch Patrick einen Versuch unternahmen den Irrtum richtigzustellen. Ganz im Gegenteil. Im Rückspiegel grinsten sich Patrick und meine Schwester zu.
„Ähm, um genau zu sein, Onkel Wolf …“, setzte ich an um die Situation zu klären, da fiel mir Julia ins Wort.
„Ja,
Nino
, stell Onkel Wolf deinen
Freund
vor.“ Sie betonte das Wort
'Freund'
sehr unmissverständlich. Gehetzt schaute ich zu Patrick. Er lächelte auf eine Weise, dass mir das Herz in den Magen tropfte und zwinkerte mir zu. Ich stieß ein überwältigtes Ächzen aus. Julia und ihr schnuckliger Freund wollten den Onkel verarschen und ich sollte mitspielen? Ich sollte – Himmel – ich sollte so
tun,
als wäre Patrick mein
Freund
, mein
Partner?
Mein Herz hämmerte wild und ich spürte leichte Panik aufkommen. Ich konnte gar nicht sagen, auf
wie viele
Arten dieses Spiel verstörend war.
Wenn ich das richtig sah, sollte ich, ein schwuler Mann, einen Heterosexuellen mimen, der schwul war. Schlimmer noch, ich sollte eine Partnerschaft mit dem Mann
vortäuschen,
in den ich mich Hals über Kopf verliebt hatte, der aber in Wahrheit heterosexuell war und nur so tat, als wäre er mein schwuler Freund!
Okay, Julia, Onkel Wolf und ich trieben öfter auf diesen Familienfeiern Scherze und verarschten uns untereinander – oder trieben uns in peinliche Situationen. Meinem Onkel waren diese Treffen genauso unangenehm und sie waren für ihn genauso langweilig, wie für meine Schwester und mich. In diesem Fall wusste ich aber nicht genau,
wer
hier
wen
verarschte. Außerdem wusste ich nicht, wie ich diese Rolle spielen sollte. Immerhin gab es aktuell nichts, dass ich mir mehr wünschte, als dass Patrick und ich tatsächlich ein Paar wären – die Ironie schoss sich selbst ins Knie.
„Patrick, das ist Onkel Wolfgang. Onkel Wolfgang, das ist Patrick, mein …
Freund
“, presste ich hervor. Mir wurde schwindelig. Wie sollte ich mich verhalten um mich nicht zu verraten? Wie spielte ein Hetero einen Schwulen? Vielleicht sollte ich mich an Patrick halten, immerhin war er hetero und tat nun schwul.
„Ninos und Julias Eltern werden sich freuen, dich kennenzulernen“, sagte Onkel Wolfgang zu Patrick und zwinkerte ihm zu. Dann verrenkte er den Kopf noch weiter, um mich anzusehen:
„Ich wusste gar nicht, dass du ihnen endlich gesagt hast, dass du schwul bist“, fragte er mich. Julia kicherte und ich verfiel in Schnappatmung. „Oder ist das eine
Überraschung
?“
Ich knabberte daran, dass Onkel Wolf offenbar nicht überrascht war, dass ich den Schwulen spielte – sogar davon brabbelte, dass es schön wäre, dass ich mich
endlich
geoutet hätte. Hatte er den Scherz gerochen und trieb jetzt mit
mir
Scherze?
„Ich glaub, du hast es Mama und Papa noch nicht gesagt, oder?“, trällerte Julia und trat kräftig auf die Bremse, da die gelbe Phase an einer Ampel eher vorüber war, als sie angenommen hatte. Der ganze Wagen schien nach vorn zu kippen. Patrick verspannte sich, hielt sich mit einer Hand am Fahrersitz fest, krallte die andere in meinen Schenkel. Die Angst vor einem Unfall stand ihm ins Gesicht geschrieben. Als das Auto endlich wieder sicher stand, lächelte er mich entschuldigend an und nahm die Hand weg. Schade.
„Nein, sie wissen es noch nicht“, gab ich wahrheitsgetreu an. Die Grenzen zwischen Spiel und Realität verschwommen mir viel zu rasch.
„Oh, na, das wird
interessant
“, freute sich Onkel Wolfgang.
Jetzt bekam
ich
Angst und wollte mich in Patricks Schenkel krallen, hielt
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