Reingekracht: Familien-Bullshit-Bingo (German Edition)
nach
irgendetwas
für Patrick schon über fünfzehn Minuten.
Mein Handy vibrierte in der Tasche, tüdelte dann laut vor sich hin. Ehe ich es an mein Ohr hielt blickte ich aufs Display: meine Schwester. Ich warf einen Blick durch das Schaufenster. Sie stand neben dem hässlichen, grünen Auto, ihr Haar leuchtete in der Sonne und sie winkte ungeduldig. Ich brauchte nicht ranzugehen um zu wissen, dass sie mir mitteilen wolle, dass ich mich zu beeilen hatte, also steckte ich das Telefon ohne abzuheben wieder ein und winkte stattdessen zurück.
Getrieben eilte ich zur Kasse, zahlte und steuerte vollbepackt auf die Rostschüssel zu, wobei mir bei jedem Schritt nur zu bewusst war, dass Patrick mich sehen konnte. Es war unerheblich, ob er mich auch wirklich anschaute, ich fühlte mich eindringlich gemustert und das reichte, um mich nervös zu machen.
Mit einem Ächzen ließ ich mich auf die Rückbank fallen, verteilte dort Blumen und Schokolade und reichte die gekühlte Coke nach vorn, wo Julia gierig danach krallte und sofort den Deckel abschraubte.
„Was hast du so lange gemacht?“, wollte sie wissen, ehe sie die Flasche ansetzte und geräuschvoll bis zur Hälfte leerte. So zierlich sie war, so anmutig sie wirken konnte, sie hatte einen Zug drauf wie ein Bauarbeiter. Julia rülpste geräuschvoll und ich starrte auf das Rubbellos in meiner Hand. Ich hatte es, als ich zahlte, panisch zu den Sachen gelegt. Es hatte sich für Bruchteile von Sekunden wie eine gute Idee angefühlt. In meiner, in goldenes Licht und Weichzeichner getauchten, Fantasie, berührte Patrick meine Finger, als ich es ihm überreichte. Wir lächelten uns vielversprechend an, er neigte sich mir entgegen und …
„An der Kasse war die Hölle los“, log ich und sah mich um. Hier sah es aus wie nach einem Atomkrieg. Für eine Autobahnraststätte war hier verdammt wenig los. Mal abgesehen davon, dass man vom Auto aus sehr gut in den Verkaufsraum sehen konnte. Julia drehte sich argwöhnisch um, doch ehe sie über meine offensichtliche Lüge meckern konnte, entdeckte sie das Los in meiner Hand. Ich ließ es rasch unter meinem Bein verschwinden.
„Was ist das?“, fragte sie auffällig beiläufig interessiert. Warum gingen Frauen immer davon aus, dass sie beschenkt werden, wenn man etwas vor ihnen versteckte? Es war nämlich genau dieser Blick, dieser verhalten begeisterte Ton in ihrer Stimme, sie probte bereits die demütig überraschte Geste.
„Nichts“, murmelte ich und schob das Los langsam in meine Hosentasche. Sie nahm es mir natürlich keine Sekunde lang ab, und sie glaubte wohl, dass ich vorhatte, sie später am Tag zu beschenken, startete und setzte die wahnsinnige Fahrt auf der Autobahn fort.
Pärchen-Bullshit-Bingo
„Wusstet ihr, dass es auch ein
'Pärchen-Bullshit-Bingo'
gibt?“, erklärte ich nach einigen Kilometern. Ich hatte eine ganze Weile darüber nachgedacht. In erster Linie, weil ich selbst Fragen bezüglich Julias und Patricks Beziehung hatte.
„Schieß los!“, forderte Julia und überholte rechts.
Um meine brillante Idee vorzubringen rutschte ich in die Mitte der Rückbank, stützte mich an den Lehnen der Vordersitze ab und blickte auf Patricks Hand, die sich in den eigenen Oberschenkel krallte. Offenbar machte ihm Julias Fahrstil Angst. Verständlich. Um mich dieses Verdachts dennoch zu vergewissern, musterte ich auch seine Körperhaltung, das Profil, die Frisur, sein Ohr, die Beine, deren Ansatz … Schwer schluckend versuchte ich, meinen Blick durch die Windschutzscheibe auf die Straße zu lenken.
„Die fünf Fragen, die sich jedes Pärchen auf einer Familienfeier anhören muss sind: Erstens: Wie lange seid ihr schon zusammen? Zweitens: Wie habt ihr euch kennengelernt? Drittens: Ist es jetzt endlich der Richtige? Viertens: Wann werdet ihr heiraten? Fünftens: Wie viele Kinder wollt ihr?“, zählte ich auf und nahm dabei meine Finger zur Hilfe.
Ab der dritten Frage sah mich Patrick an und verharrte darin bis ich fertiggesprochen hatte, weswegen sich meine Stimme belegte. Ich erwiderte den Blick und bekam prompt einen elektrischen Schlag in meine Seele. Es war, als sähe er nicht Julias Bruder oder den Typ, der zufällig auf der Rückbank saß und von riesigen Hängetitten und
Bullshit-Bingo
schwafelte, sondern
mich
, den aktuell völlig aus der Bahn geworfenen Menschen. Und was auch immer er dabei sah, ich begann mir in seinem Blick zu gefallen. Hätte er geahnt, wie knapp ich davor war ihn einfach zu packen
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