Reingekracht: Familien-Bullshit-Bingo (German Edition)
mich aber in letzter Sekunde zurück. Auf einmal legte er eine Hand auf meine und schob die Finger zwischen meine Knöchel. Es war eine so ruhige und sichere Geste und es fühlte sich so richtig an, dass ich am liebsten den Kopf auf seine Schulter gelegt hätte. Stattdessen starrte ich ihn überrascht an und erntete ein verhaltenes Lächeln. Also den verliebten Schwulen spielte er gut. Ich schluckte. Wie weit er wohl gehen würde?
„Wie lange seid ihr denn schon zusammen?“, stellte Onkel Wolf die erste
'Pärchen-Bullshit-Bingo'
-Frage, nachdem er einen Blick auf unsere verschränkten Finger geworfen hatte. Wow. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass
ich
diese Fragen gestellt bekommen würde. Julia lachte laut auf und auch Patrick neben mir kicherte.
„Hab ich etwas Falsches gesagt?“, wunderte sich Onkel Wolf.
„Nein, nein“, sang Julia fröhlich, warf mir über den Rückspiegel einen belustigten Blick zu und fragte: „Und, Nino, wie lange bist du schon mit
deinem Freund
zusammen?“
Mein Magen fühlte sich an, als würde er mit Quecksilber gefüllt. Das hier machte keinen Spaß, es tat sauweh. Ich sagte nichts sondern starrte verzweifelt auf die Hand, die meine hielt, denn sie würde das nicht mehr lange tun. Ich wollte das Spiel beenden, jetzt sofort.
„Drei Monate“, ertönte auf einmal Patricks Stimme neben mir und er drückte meine Finger als wolle er mir Mut machen. Ich wünschte, er wäre wirklich schwul. Ich wünschte, er wäre wirklich mein Freund. Ich musste mich ermahnen, dass er diese liebevolle Geste nur spielte, dass sie nichts weiter war als ein Witz.
„Prickelnd“, freute sich Onkel Wolfgang, „Ihr seid also noch richtig in der Phase der Verliebtheit und habt andauernd aufregenden Sex.“
„Das reicht!“, platzte es aus mir heraus.
„Das stimmt“, brummte Patrick und hauchte mir einen Kuss auf die Schläfe. Ich schloss die Augen und seufzte. Wow.
Ich sollte den Scherz möglichst rasch beenden, aber dann würde Patrick meine Hand loslassen und sicher nie wieder irgendetwas von mir küssen. Das hier war vermutlich die einzige Gelegenheit ihm nahezukommen, vielleicht noch einen weiteren Kuss abzusahnen. Das war jämmerlich und schäbig aber ich beschloss, vorerst den Mund zu halten.
„Wie habt ihr euch denn kennengelernt?“, folgte die zweite Frage des
'Pärchen-Bullshit-Bingos'
. Meine Schwester war gerade dabei, Stinkefinger an andere Verkehrsteilnehmer zu verteilen, die sich an ihren originellen Fahrkünsten störten.
„Über Julia“, gab ich ehrlicherweise zu und hoffte, damit wäre die Frage beantwortet.
„Es war Liebe auf den ersten Blick“, schmückte Patrick aus. „Als Julia uns einander vorstellte, konnte sie gar nicht wissen, was sie da auslöst“, fuhr er fort und kam mir dabei mit dem Kopf so verdammt nah, dass ich seinen Atem auf der Wange spürte. Ich starrte krampfhaft geradeaus, fixierte das Muster des Sitzbezugs. Verdammt, konnte er gut Schauspielern.
Mein
Part stimmte. Ich hatte mich auf den ersten Blick verknallt und Julia konnte das tatsächlich nicht wissen. Er aber log.
„Nino hatte ihr noch nicht gesagt, dass er schwul ist, aber sie hat es vermutet. Mir war es sofort klar, als ich ihn sah. Sie hatte mir so viel Interessantes von ihm erzählt – aber dass er genau mein Typ ist, das konnte sie wohl nicht wissen.“
Es war nur ein Märchen, eine profane Lüge, ein Witz, aber mir gingen die Worte durch und durch. Sie machten mich an, sie wühlten mich auf, sie eroberten mich und in meinem Kopf schwirrte es nur so. Ich wollte, dass das die Wahrheit war, wenn auch nur für Momente, wollte das glauben – genau so, wie er es gesagt hatte. Ich sah ihn an, wollte wissen, wie schwer ihm diese Lüge gefallen war. Immerhin hatte ich kein Schmunzeln herausgehört, im Gegenteil, es klang so verdammt überzeugend, dass ich nicht akzeptieren wollte, dass es nur erfunden war. Er blickte mich auf eine so durchdringende Art an, dass ich ihm nicht nur abgenommen hätte, dass er ebenfalls schwul war, sondern auch noch in mich verliebt.
Hatten heterosexuelle Männer nicht ein Problem damit, anderen Männern nahe zu sein? Selbst wenn sie zum Spaß Schwuchtel spielten, dann lief das angemessen derb ab, damit nur bloß nicht der winzigste Verdacht aufkam, dass dahinter wirklich etwas stecken könnte. Patrick litt offenbar nicht unter so einer Befürchtung. Er lächelte sanft und sah abwechselnd auf meinen Mund und in meine Augen. Moment. Er wollte doch nicht … Er
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