Reise durch die Sonnenwelt
antwortete Kapitän Servadac, das ist ein durchweg wunderbares kleines Wesen. Man möchte sagen, das ganze Leben der Gallia concentrire sich in ihrem Herzen.
– Ganz recht, mein Kapitän, aber später? …
– Was willst Du damit sagen?
– Ja, ich meine, wenn wir nach der Erde zurückgekehrt sind, können wir das Kind doch nicht verlassen!
– Bewahre Gott, Ben-Zouf, wir werden es adoptiren!
– Brav, mein Kapitän! Sie werden dessen Vater und ich werde, mit Ihrer Erlaubniß, seine Mutter sein.
– Nun, dann wären wir Beide ja so gut wie verheirathet, Ben-Zouf.
– O, mein Kapitän, erwiderte der brave Soldat, das sind wir in der That seit langem!«
Von den ersten Tagen des October ab wurde die Temperatur, bei dem Fehlen jeder Bewegung der Atmosphäre, selbst in der Nacht weit erträglicher. Die Entfernung der Gallia von der Sonne erreichte jetzt kaum das Dreifache des Abstandes der Erde von dem Centrum ihrer Attraction. Die Temperatur hielt sich im Mittel auf dreißig bis fünfunddreißig Grad unter Null. Dem Nina-Bau sowohl als auch der Außenwelt wurden schon häufige Besuche abgestattet. Die Kolonisten wagten sich ungestraft hinaus auf den Strand. Bei der prächtigglatten, einladenden Eisfläche des Meeres ergötzte man sich auch wieder am Schlittschuhlaufen. O, welche Freude war es für die Gefangenen, ihren Kerker einmal verlassen zu können! Tag für Tag traten auch Graf Timascheff, Kapitän Servadac und Lieutenant Prokop zusammen, um sich über die Lage der Dinge zu unterrichten und die große Frage der »Landung an der Erde« zu besprechen. Es war ja damit nicht abgemacht, an der Erdkugel anzulangen, sondern es galt auch, den verderblichen Folgen des Stoßes nach Möglichkeit zuvorzukommen.
Einer der fleißigsten Besucher des Nina-Baues war Palmyrin Rosette. Das Fernrohr hatte man wieder nach seinem Observatorium geschafft und hier beschäftigte er sich, so lange es die Kälte irgend erlaubte, mit astronomischen Beobachtungen.
Ueber das Resultat seiner neueren Beobachtungen stellte man keine Frage an den Professor. Er hätte eine solche wahrscheinlich auch nicht beantwortet. Nach Verlauf einiger Tage glaubten seine Gefährten an ihm zu bemerken, daß er gar nicht mehr zufrieden sei. In dem schiefen Tunnel des Centralkamines sah man ihn auf-und absteigen, kommen und wieder gehen. Er murmelte vor sich hin, er fluchte sogar manchmal und erschien unzugänglicher als je. Ein-oder zweimal versuchte es Ben-Zouf – wie bekannt, ein unerschrockener Held – sich dem schrecklichen Professor zu nahen. Die Aufnahme, welche er dabei fand, spottet jeder Beschreibung.
»Ich möchte wetten, dachte er, daß es da oben nicht ganz so geht, wie er es wünschte. Alle Wetter, wenn er nur nicht die ganze Himmelsmechanik und uns dabei mit ruinirt!«
Auch Kapitän Servadac, Graf Timascheff und Lieutenant Prokop fragten sich wiederholt, was Palmyrin Rosette wohl so sehr erregen möge. Hatte der Professor vielleicht seine Rechnung noch einmal geprüft und gefunden, daß sie mit den neueren Beobachtungen nicht übereinstimmte? Nahm der Komet etwa den ihm in den vorausberechneten Ephemeriden zugewiesenen Ort doch nicht ein und sollte er in Folge dessen nicht an der bezeichneten Stelle und in der richtigen Secunde bei der Erde anlangen?
Diese Fragen gingen Jedermann nahe, und da sich alle Hoffnungen nach dieser Seite nur auf Palmyrin Rosette’s Versicherungen stützten, so war aller Grund vorhanden, zu fürchten, wenn man jenen so seiner Sache ungewiß sah.
In der That ward der arme Professor allmälig der Unglücklichste aller Astronomen. Ohne Zweifel entsprachen seine Rechnungen nicht den jetzigen Beobachtungen, und ein Mann, wie er, mußte darüber das lebhafteste Mißbehagen empfinden. Stets, wenn er nach einer lang fortgesetzten Beobachtung dreiviertel erfroren das Ocular seines Fernrohres verließ und nach seinem Zimmer herabkam, unterlag er einem wirklichen Wuthanfalle.
Die Bewohner der Gallia kamen herbei, um sich an den belebenden Strahlen zu erfreuen. (S. 404.)
Hätte ihn einer seiner Gefährten in einem solchen Augenblicke angesprochen, so hätte er hören können, wie jener immer für sich murmelnd wiederholte:
»Alle Teufel, was bedeutet das? Was macht sie da? Sie ist nicht an der Stelle, die meine Berechnungen ihr anweisen! Die Elende! Sie bleibt zurück! Entweder Newton ist ein Narr oder sie ist toll! Alles das widerspricht den Gesetzen der allgemeinen Gravitation. Was zum Teufel, ich habe
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