Reise durch die Sonnenwelt
Grad östlicher Länge.
Der Grund aber, welcher Graf Timascheff in Uebereinstimmung mit Kapitän Servadac und Lieutenant Prokop zur Einhaltung dieser Linie bestimmte, lag in Folgendem:
Zu eben jener Zeit war – nachdem man diese Unternehmung schon längere Jahre fast aufgegeben hatte – in Folge französischen Einflusses das Meer der Sahara geschaffen worden. Dieses großartige Werk, eigentlich nur eine Zurückerstattung des ausgedehnten Bassins des Tritonsees, das einst das Schiff der Argonauten trug, hatte die klimatischen Verhältnisse der Umgebung sehr günstig verändert und den Verkehr zwischen Sudan und Europa in die Hände Frankreichs gegeben.
Welchen Einfluß hatte nun die Wiederauferstehung dieses alten Meeres auf den jetzigen Zustand der Dinge geäußert? Das sollte zunächst in Erfahrung gebracht werden.
In der Höhe des Golfes von Gabes, auf dem vierunddreißigsten Grade der Breite, ließ jetzt ein breiter Kanal die Fluthen des Mittelmeeres in die tiefe Bodendepression der Bezirke von Kebir, Garsa u.a.m. einströmen. Die zwanzig Kilometer nördlich von Gabes und genau an der Stelle gelegene Landenge, nach der hin eine Bai des Tritonsees der alten Welt sich bis nahe an das Meer erstreckte, war durchstochen worden, und die Wasser wälzten sich nun in ihr früheres Bett, aus dem sie vor Zeiten aus Mangel eines hinreichenden Zuflusses unter der glühenden Sonne Libyens durch Verdunstung entwichen waren.
Konnte nicht an der Stelle dieses Durchstiches gerade der Bruch stattgefunden haben, dem man das Verschwinden eines beträchtlichen Theiles Afrikas zuschreiben mußte?
Durfte man nicht glauben, die Dobryna werde etwa nach Ueberschreitung des vierunddreißigsten Parallelkreises die Küste von Tripolis wieder finden, welche der Weiterausbreitung der Zerstörung widerstanden haben mochte?
»Wenn wir an diesem Punkte, bemerkte Lieutenant Prokop sehr richtig, nach Süden hin immer noch ein unbegrenztes Meer antreffen, so bleibt uns dann nichts übrig, als nach Europa zurückzukehren, und uns dort die Lösung des Räthsels zu holen, welches hier unlösbar erscheint.«
Ohne jede Rücksicht auf Kohlenersparniß setzte die Dobryna unter Dampf ihren Weg nach Cap Blanc zu fort, ohne die zwischenliegenden Cap Nero und Cap Serrat zu Gesicht zu bekommen. Auf der Höhe von Bizerte, einer reizenden Stadt von völlig orientalischem Charakter, sah man weder den lieblichen See, der sich jenseit der engeren Hafeneinfahrt ausbreitet, noch ihre von prächtigen Palmen beschatteten Marabouts. Die Sonde wies unter dem auch hier sehr durchsichtigen Wasser unverändert den flachen, leeren Meeresboden nach, der allüberall die Wassermassen des Mittelmeeres trug.
Um das Cap Blanc, oder richtiger um die Stelle, wo sich jenes vor fünf Wochen noch befand, fuhr man am 7. Februar. Die Goëlette durchschnitt also jetzt das Wasser, welches etwa der Bai von Tunis entsprach. Von dem ganzen prächtigen Golf war aber keine Spur mehr vorhanden, ebensowenig weder von der amphitheatralisch gebauten Stadt, noch von dem Fort des Arsenals, weder von dem benachbarten la Goulette, noch von den beiden Bergspitzen des Bou-Kournein. Auch das Cap Bon, diese nach Sicilien am weitesten vorgeschobene Spitze Afrikas, erschien sammt dem Festlande in den Eingeweiden der Erde verschwunden.
Vor all’ diesen so außerordentlichen Ereignissen stieg der Grund des Mittelmeeres hier in einer sehr steilen Böschung zu einem langen, schmalen Satteldache an. Die Erde erhob sich gleichsam zu einem Rückgrat, welches sich in die libysche Meerenge hinausdrängte und über dem durchschnittlich nur siebzehn Meter Wasser standen. Vielleicht verband dieser Strang vor Zeiten sogar das Cap Bon mit dem am weitesten vorspringenden Cap Furina auf der Insel Sicilien, ein ähnliches Verhältniß, wie man es zweifellos für Ceuta und Gibraltar nachgewiesen hat.
Lieutenant Prokop, ein Seemann, der das Mittelmeer bis in alle Einzelheiten kannte, war natürlich auch hiervon unterrichtet. Es gab das übrigens Gelegenheit, zu prüfen, ob der Boden des Mittelmeeres zwischen Afrika und Sicilien neuerdings eine Veränderung erlitten hätte, oder ob jener unterseeische Bergkamm der libyschen Enge noch jetzt existirte.
Graf Timascheff, Kapitän Servadac und der Lieutenant wohnten alle Drei den vorzunehmenden Sondirungen bei. Ein auf den Rüsten des Focksegels sitzender Matrose senkte das Bleigewicht in die Tiefe.
»Wie viel Faden? fragte Lieutenant Prokop.
– Fünf, antwortete der
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