Reise durch die Sonnenwelt
Dobryna nur noch zwei Kabellängen davon entfernt.
Das Eiland bestand aus einem nackten, dürren und steilen Hügel, der sich kaum vierzig Fuß über das Wasser erhob. Keinerlei Felsengeröll lag in der Umgebung, was den Glauben erregte, daß derselbe sich unter dem Einfluß jenes unerklärten Phänomens langsam gesenkt haben müsse, bis er einen neuen Stützpunkt fand, der ihn in der jetzigen Höhe über dem Wasser hielt.
»Doch auf dem Eiland befindet sich eine Wohnstätte! rief Kapitän Servadac, der mit dem Fernrohr vor den Augen jeden Punkt desselben musterte. Vielleicht auch noch ein Lebender …«
Diese Hypothese des Kapitäns begleitete Lieutenant Prokop mit einem sehr bezeichnenden Kopfschütteln. Das Eiland schien vollkommen öde zu sein und auch ein Kanonenschuß von der Goëlette lockte keinen Bewohner desselben an das Ufer.
Freilich erhob sich am höchsten Punkte des Eilandes eine Art Steingemäuer, das einige Aehnlichkeit mit einem arabischen Marabout zeigte.
Das große Boot der Dobryna wurde flott gemacht. Graf Timascheff, Kapitän Servadac nebst Lieutenant Prokop nahmen darin Platz und vier kräftige Matrosen handhabten die Ruder.
Bald darauf betraten die Männer das Land und kletterten ohne langes Besinnen den steilen Abhang hinauf nach dem Marabout.
Dort wurden sie zuerst durch eine Umfassungsmauer aufgehalten, welche mit antikem Schmuckwerk, wie Basen, Säulen, Statuen und kleinen Monolithen, aber ohne alle Ordnung und jeden kunsthistorischen Werth, besetzt war.
Graf Timascheff umschritt mit seinen zwei Begleitern diese Mauer und gelangte an eine enge, geöffnete Pforte, durch welche Alle eintraten.
Eine zweite, ebenfalls offene Thür, vermittelte den Zugang nach dem Innern des Marabout. Auch hier waren die Mauern mit arabischen, aber werthlosen Sculpturen bedeckt.
In der Mitte des einzigen Raumes dieses Marabout erhob sich ein sehr einfaches Grab. Darüber hing eine ungeheure silberne Lampe mit einem noch vorhandenen Oelvorrath von mehreren Litern und sehr langem, auch jetzt brennendem Dochte.
Das Licht von dieser Lampe war es, das im Laufe der letzten Nacht Kapitän Servadac’s Auge getroffen hatte.
Der Marabout erwies sich unbewohnt. Sein Wächter – wenn er überhaupt einen solchen gehabt – mochte im Augenblick der Katastrophe entflohen sein. Seitdem diente er einigen Seeraben als Zuflucht, welche beim Eintritt der Männer in raschem Fluge nach Süden zu entflohen.
In einem Winkel des Grabes lag ein altes Gebetbuch. Dieses in französischer Sprache gedruckte Buch war für den Gottesdienst zum Gedenktage am 25. August aufgeschlagen.
In Kapitän Servadac’s Kopfe stieg plötzlich ein Gedanke auf.
Der Punkt des Mittelmeeres, den das Eiland einnahm, das jetzt mitten im offenen Meere isolirte Grabmal, die in dem Buche aufgeschlagene Seite, Alles wies ihn darauf hin, an welcher Stelle er sich mit seinen Begleitern befand.
»Das Grab des heiligen Ludwig, meine Herren!« sagte er.
In der That verstarb hier einst jener König von Frankreich. Seit mehr als sechs Jahrhunderten ehrte dasselbe der fromme Sinn vieler Franzosen.
Kapitän Servadac verneigte sich vor der geheiligten Stätte und seine beiden Begleiter ahmten ihm andächtig nach.
Die hier über dem Grabe eines Heiligen brennende Lampe war jetzt vielleicht der einzige Leuchtthurm, der über dem ganzen Mittelmeere glänzte, und wie bald sollte auch dieser verlöschen.
Die drei Männer verließen den Marabout und den öden Felsen. Das Boot führte sie an Bord zurück, und nach Süden steuernd verlor die Dobryna bald das Grab Ludwig IX. aus den Augen, den einzigen Punkt der Provinz Tunis, den die unerklärliche Katastrophe verschont zu haben schien.
Sie gelangten an eine enge, geöffnete Pforte. (S. 94.)
Zwölftes Capitel.
In welchem der Lieutenant Prokop, nachdem er also Seeman seine Schuldigkeit gethan, sich in den Wissen Gottes ergiebt.
Die erschreckten Seeraben hatten bei der Flucht aus dem Marabout ihren Flug nach Süden zu gerichtet; woraus sich wohl annehmen ließ, es möchte in dieser Himmelsgegend ein nicht zu entferntes Land zu finden sein. An diese Hoffnung klammerten sich die Insassen der Dobryna.
Einige Stunden nach dem Verlassen des Eilandes schwamm die Goëlette auf diesem neuen Meere, das die ganze Halbinsel Dakhul, welche früher die Bai von Tunis und den Golf von H’Amamat trennte, in geringer Tiefe überdeckte.
Zwei Tage später erreichte sie, nach vergeblicher Aufsuchung der tunesischen Küste
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