Reise durch die Sonnenwelt
Davon bin ich fest überzeugt, erwiderte Kapitän Servadac; doch jetzt ist es von besonderem Interesse, zu wissen, ob wir nach Durchschneidung der Bahn der Venus auch noch die des Merkur passiren werden.
– Um zum Schluß auf die Sonne zu stürzen und dort elend zu Grunde zu gehen, setzte Graf Timascheff hinzu.
– Das wäre demnach ein Fallen, ein entsetzliches Fallen! rief Kapitän Servadac.
– Nein, nein, bemerkte da Lieutenant Prokop, ich glaube versichern zu können, daß die Erde augenblicklich nicht von einem solchen Sturze bedroht ist. Sie bewegt sich nicht geradlinig nach der Sonne, sondern beschreibt unzweifelhaft eine neue Bahn rund um dieselbe.
– Kannst Du für diese Hypothese Beweise beibringen? fragte Graf Timascheff.
– Ja, Vater, erwiderte Lieutenant Prokop, und einen Beweis, der Dich überzeugen wird. Wenn die Erdkugel nämlich im Fallen begriffen wäre, so stände auch die endliche Katastrophe sehr nahe bevor und wir müßten dem Centrum der Attraction schon sehr nahe sein. Wenn es ein Fallen wäre, so müßte die Tangentialkraft, welche in Verbindung mit der Anziehungskraft der Sonne die Planeten in ihre elliptischen Bahnen um letztere zwingt, augenblicklich aufgehoben worden sein, und unter dieser Bedingung würde die Erde nur vierundsechzig und einen halben Tag brauchen, um auf die Sonne zu fallen.
– Und Sie folgern aus dem Allen? … fragte Kapitän Servadac.
– Daß wir eben sicher nicht im Fallen sind, erklärte Lieutenant Prokop. Bedenken Sie, daß die Erdbahn schon einen ganzen Monat geändert und die Erdkugel doch noch kaum an der Venus vorüber gekommen ist. Sie hat sich in diesem Zeitraume der Sonne also nur um sechs Millionen von den etwa zwanzig Millionen Meilen, dem Halbmesser der Erdbahn, genähert. Wir haben also alle Ursache, die jetzige Bewegung der Erde nicht als ein Fallen aufzufassen. Gewiß ist das ein Glück zu nennen. Uebrigens glaube ich sogar, daß wir uns wieder von der Sonne zu entfernen anfangen, denn die Temperatur hat sich allmälig vermindert und die Hitze auf der Insel Gourbi erscheint nicht bedeutender, als sie es auch in Algier sein würde, wenn dieses noch unter dem sechsunddreißigsten Breitengrade läge.
– Ihre Schlußfolgerungen sind ohne Zweifel richtig, Lieutenant, stimmte Kapitän Servadac diesen Ausführungen bei. Nein, die Erde ist nicht auf die Sonne zu gestürzt worden, sondern kreist noch immer um diese.
– Nicht minder sichtbar ist aber, fügte Lieutenant Prokop hinzu, daß in Folge der Umwälzung, nach deren Grunde wir vergeblich forschen, das Mittelmeer sammt dem anliegenden Küstenstriche Afrikas plötzlich in die äquatoriale Zone versetzt wurde.
– Wenn es noch afrikanische Küstenländer giebt, sagte Kapitän Servadac.
– Und überhaupt noch ein Mittelmeer!« vervollständigte Graf Timascheff.
Wie viele Fragen tauchten da wohl auf! Jedenfalls schien es zur Zeit fest zu stehen, daß die Erde sich nach und nach von der Sonne entfernte und daß ein Fall auf das Centrum der Attraction nicht zu befürchten sei.
Was war aber von jenem afrikanischen Continente übrig, dessen Reste die Goëlette zu entdecken suchte?
Vierundzwanzig Stunden nach der Abfahrt von der Insel hatte die Dobryna offenbar die Punkte passirt, an denen längs der Küste Algiers Tenez, Cherchell, Koleah und Sidi-Ferruch liegen mußten, ohne daß eine dieser Städte auch mittels des Fernrohres zu entdecken gewesen wäre. Unbegrenzt wälzte das Meer auch da seine Wogen hin, wo ihnen sonst der Festlandswall ein Halt! gebot.
Bezüglich des von der Dobryna gesteuerten Courses konnte Lieutenant Prokop sich nicht wohl täuschen. Unter Berücksichtigung der Compaßangaben, der ziemlich gleichbleibenden Richtung der Winde, ferner der mittels Log bestimmten Schnelligkeit der Goëlette und der gleichzeitig wirklich durchlaufenen Strecke, konnte er an diesem Tage annehmen, daß das Schiff sich unter 36°47’ der Breite und 20°44’ östlicher Länge von Ferro, d.h. an der Stelle befinde, wo die Hauptstadt Algiers zu suchen war.
Die Stadt Algier aber, ebenso wie Tenez, Cherchell, Koleah und Sidi-Ferruch, war ebenfalls in der Tiefe verschwunden.
Mit gerunzelter Stirne und zusammengepreßten Lippen richtete Kapitän Servadac die wild aufflammenden Augen über das Meer, welches sich über den unbegrenzten Horizont hinaus erstreckte. Alle Erinnerungen seines Lebens tauchten wieder in ihm auf. Sein Herz klopfte zum Zerspringen. Hier, an der Stelle der Stadt Algier, in
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