Reise im Mondlicht
davon und hatten auch ihre Meinung darüber, aber
sie waren taktvoll und sagten nichts, blickten großzügig weg, wenn hin und wieder der Ordnungssinn oder die Sparsamkeit mit
mir durchgingen.
Am schwersten fiel mir, daß ich an ihren Spielen teilnehmen mußte. Mir fehlt jegliches Schauspielertalent, ich bin heillos
verklemmt, und anfänglich starb ich fast, wenn sie mir die rote Weste des Großvaters anzogen, damit ich in einem Borgia-Fortsetzungsdrama
den Papst Alexander VI. darstellte. Später lernte ich auch das; aber nie gelang es mir, so schöne barocke Texte zu improvisieren,
wie sie das konnten. Hingegen erwies ich mich als ausgezeichnetes Opfer. Mich konnte man am besten vergiften oder in Öl braten.
Oft war ich auch einfach die Menge, die der Grausamkeit Ivans des Schrecklichen zum Opfer fiel, und ich mußte fünfundzwanzigmal
hintereinander auf verschiedene Arten und röchelnd die Seele aushauchen. Besonders meine Röcheltechnik hatte großen Erfolg.
Und ich muß dir auch gestehen, obwohl mir das sogar nach so viel Wein schwer fällt, aber meine Frau muß auch das wissen: daß
ich sehr gern das Opfer war. Schon vom Morgen an freute ich mich darauf, ja …«
»Warum warst du gern das Opfer?« fragte Erzsi.
»Naja … aus erotischen Gründen, wenn du verstehst, was ich meine … Später erfand ich selbst die Geschichten, in denen ich nach meinem Gusto das Opfer sein konnte. Zum Beispiel (das Kino begann
damals schon, die Phantasie zu beeinflussen): Éva ist das Apachenmädchen (davon handelten die Filme damals), und sie lockt
mich in ein Apachenlager, wo sie mich betrunken macht, worauf ich ausgeraubt und umgebracht werde.Oder das gleiche in Geschichtlich:
Judit und Holofernes, das war auch nicht schlecht. Oder ich bin ein russischer General, Éva ist eine Spionin, sie gibt |33| mir ein Schlafmittel und entwendet den Schlachtplan. Tamás ist ein geschickter Flügeladjutant, der die Spionin verfolgt und
den Plan zurückholt, doch bis dahin wird auch er von Éva mehrmals außer Gefecht gesetzt, und die Russen erleiden entsetzliche
Verluste. Dergleichen ergab sich aus dem Moment, während des Spiels. Und den beiden gefiel das, während ich mich für diese
Spiele schämte, ich schäme mich auch jetzt noch, da ich davon rede, sie hingegen fanden nichts dabei. Éva war gern die Frau,
die die Männer betrügt, verrät, umbringt, Tamás und ich waren gern die Männer, die betrogen, verraten, umgebracht oder fürchterlich
gedemütigt werden …«
Mihály verstummte und nahm einen Schluck. Nach einer Weile fragte Erzsi:
»Warst du in Éva Ulpius verliebt?«
»Nein, ich glaube nicht. Wenn du unbedingt willst, daß ich in jemanden verliebt war, dann eher in Tamás. Er war mein Ideal,
Éva hingegen eher nur eine Zugabe, eine erotische Kraft in diesen Spielen. Aber ich möchte doch nicht sagen, ich sei in Tamás
verliebt gewesen, weil das mißverständlich ist, am Ende denkst du noch, es hätte zwischen uns eine homoerotische Beziehung
bestanden, und davon konnte nicht die Rede sein. Er war mein bester Freund, im vollen, jugendzeitlichen Sinn des Wortes, und
was an der Sache ungut war, gehörte, wie ich vorhin gesagt habe, in eine ganz andere, tiefer liegende Kategorie.«
»Aber Mihály, ihr wart doch jahrelang zusammen, hat es da nie einen unschuldigen Flirt zwischen dir und Éva Ulpius gegeben?
Schwer vorstellbar.«
»Nein, wirklich nicht.«
»Wie ist das möglich?«
»Wie?… ja, wie?… Wahrscheinlich so, daß wir ein derart intimes Verhältnis hatten, daß wir nicht flirten und nicht ineinander
verliebt sein konnten. Für Verliebtheit braucht es Distanz, über die hinweg sich die Verliebten einander nähern. Das Sich-Nähern
ist natürlich nur illusorisch, da Liebe in Wirklichkeit Entfernung bedeutet. Liebe ist Polarität – die beiden Liebenden sind
die zwei gegensätzlich geladenen Pole der Welt …«
|34| »Du redest unheimlich klug, so spät in der Nacht. Ich verstehe die ganze Angelegenheit nicht. War das Mädchen häßlich?«
»Häßlich? Sie war die schönste Frau, die ich meiner Lebtag gesehen habe. Nein, das stimmt auch nicht. Sie war die schöne Frau,
an der ich noch heute alle Schönheit messe. Alle meine späteren Lieben hatten etwas von ihr, die eine hatte ihre Beine, die
andere hob den Kopf wie sie, die dritte hatte am Telephon die gleiche Stimme.«
»Ich auch?«
»Ja … du auch.«
»Inwiefern gleiche ich
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