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Reise im Mondlicht

Titel: Reise im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antal Szerb
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dem Gellérthegy umher, und er schrieb Gedichte an sie. Aber die Klasse machte
     sich nicht darüber lustig, denn man spürte das Intensive und Poetische an der Sache. Doch als er katholisch wurde, entsagte
     er selbstverständlich auch der Liebe. Damals begannen die Jungen, ins Bordell zu gehen, was Ervin strengstens ablehnte. Obwohl
     die anderen, glaube ich, eher aus Großtuerei zu den Frauen gingen, während er der einzige war, der das körperliche Verlangen
     wirklich schon kannte.
    In der Zeit lernte er Éva kennen. Bestimmt war es Éva, die mit ihm anbändelte. Denn Ervin war sehr schön, mit seinem elfenbeinfarbenen
     Gesicht, seiner hohen Stirn, den glühenden Augen. Und man spürte, daß er jemand Besonderer war, trotzig, rebellisch; es strömte
     aus ihm. Daneben war er freundlich und zartsinnig. Ich merkte erst, was da lief, als Ervin und János im Ulpius-Haus auftauchten.
    Der erste Nachmittag war gräßlich. Tamás benahm sich reserviert wie ein Großherzog, ließ nur von Zeit zu Zeit völlig unpassende
     Bemerkungen fallen, um die Bourgeois zu schockieren. Aber Ervin und János waren nicht schockiert, denn sie waren keine Bourgeois.
     János redete den ganzen Nachmittag, von seinen Erfahrungen beimWalfang und von den Geschäftsplänen,die seine Kokusnußplantagen
     betrafen. Ervin schwieg, rauchte und betrachtete Éva. Die hingegen war völlig anders als sonst. Sie quengelte, tat heikel,
     war ganz die kleine Frau. Am unbehaglichsten |39| war mir zumute. Ich fühlte mich wie ein Hund, der plötzlich merkt, daß er von nun an mit zwei anderen Hunden den Platz unter
     dem Eßtisch teilen muß. Ich knurrte, obwohl mir eher zum Weinen war.
    Daraufhin blieb ich öfter weg, kam nur, wenn Ervin und János nicht da waren. Überhaupt standen wir vor dem Abitur, es wurde
     ernst, und ich versuchte, auch Tamás ein paar wesentliche Dinge einzubläuen. Irgendwie schafften wir es knapp. Ich mußte Tamás
     mit Gewalt zum Abitur schleppen, denn er hatte an dem Tag gar nicht aufstehen wollen. Nach dem Abitur begann im Ulpius-Haus
     das große Leben.
    Denn es hatte sich alles zum Guten gewendet. Die Ulpius waren die stärkeren und hatten Ervin und János völlig assimiliert.
     Ervin war nicht mehr so abweisend, sondern nahm sehr nette, wenn auch affektierte Umgangsformen an; er sprach immer wie in
     Anführungszeichen, als ob er sich nie ganz mit dem identifizierte, was er sagte. János wurde stiller und sentimentaler.
    Allmählich fanden wir auch zu den Spielen zurück, und die waren jetzt viel ausgefeilter, bereichert durch die abenteuerliche
     Phantasie von János und Ervins poetischen Schwung. János erwies sich natürlich als hervorragender Komödiant. Deklamierend
     und schluchzend spielte er die anderen an die Wand (seine Leibrolle war die des hoffnungslosen Liebhabers), so daß wir zwischendurch
     aufhören und warten mußten, bis er sich beruhigt hatte. Ervins Lieblingsrolle war die des wilden Tiers; er behauptete sich
     hervorragend als Bison, der von Ursus (mir) niedergerungen wird, und auch als Einhorn war er glänzend. Mit seinem mächtigen
     Horn zerfetzte er alles, was im Weg war – Vorhänge, Laken und was sonst sich fand.
    Die Grenzen des Ulpius-Hauses begannen sich zu erweitern. Wir machten jetzt lange Spaziergänge auf den Hügeln von Buda, gingen
     in die Bäder, und dann begannen wir auch zu trinken. Auf János’ Anregung, nachdem er schon seit Jahren seine Wirtshaus-Abenteuer
     zum Besten gegeben hatte. Neben ihm war Éva am trinkfestesten, man sah es ihr gar nicht an, wenn sie getrunken hatte, sie
     war dann einfach noch mehr sie selbst. Ervin machte sich |40| mit der gleichen Leidenschaft ans Trinken, mit der er rauchte. Ich will keine Rassentheorien von mir geben, aber du weißt
     ja auch, daß es etwas Seltsames ist, wenn ein Jude trinkt. Mit dem Trinken hatte es Ervin genauso wie mit dem Katholizismus.
     Es war ein verbitterter Kopfsprung, als berauschte er sich nicht an schlichten ungarischen Weinen, sondern an etwas viel Stärkerem,
     an Haschisch oder Kokain. Und gleichzeitig schien er immer Abschied zu nehmen, als tränke er zum letzten Mal, und als täte
     er überhaupt alles zum letzten Mal auf dieser Welt. Ich gewöhnte mich rasch an den Wein, und die Gefühlslockerung, die Auflösung
     der Disziplin, die er bei mir bewirkt, wurden mir zu einem existentiellen Bedürfnis. Aber am folgenden Tag zu Hause schämte
     ich mich jedesmal entsetzlich für meinen Katzenjammer, und ich schwor

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