Reise mit Hindernissen nach England und Schottland
diesem Zeitpunkt nur in geringer Zahl erschienen, nach neun Uhr sollte es allerdings vermehrt hereinströmen, denn dann sinken die Plätze auf den halben Preis. In England, wo alles frei ist, kann jedermann ein Theater begründen, eine Omnibuslinie einrichten, Ballokale oder Wirtshäuser mit Musik eröffnen und Zeitungen herausgeben, wie es ihm gefällt; gerade in dieser Hinsicht ist den Engländern ein schöner Erfolg gelungen, denn sie besitzen siebenhunderteinundachtzig Tageszeitungen und vierhundertachtzig literarische Magazine und Zeitschriften. Für die Theater folgt aus dieser uneingeschränkten Freiheit, daß die Willkür des Direktors keiner Kontrolle unterliegt; er kann den Stil neu bestimmen, genauso wie er die Eintrittspreise nach seinem Gutdünken ändert. Er entscheidet kurzum allein, aufweiche Art er die Zuschauer anlockt.
Dreiundvierzigstes Kapitel
Eine unvergeßliche Lady Macbeth
Die Aufführung von
Macbeth
begann. Jacques verstand kein Wort, und er hatte den Eindruck, einer geräuschvollen Pantomime beizuwohnen; Jonathan schnappte durch Zufall ein paar Worte auf und verpaßte die Hälfte einer Tirade oder einer Replik, während er sie zu begreifen suchte. Die Schauspieler agierten mit einer bürgerlichen, aber überzeugten Romantik; sie wollten dem Publikum alle Kühnheiten des großen englischen Tragödiendichters vermitteln und stießen fürchterliche Schreie aus. Ihr englisches Aussehen, ihre steifen und gezierten Gebärden, ihre linkischen und übuertriebenen Posen, ihr dramatisches Röcheln schien der Mehrheit der Zuschauer zu gefallen. Und dennoch erinnerten die Kämpfe zwischen Macbeth und den schottischen Edelleuten unverwechselbar an die Waffengänge von Seiltänzern. Der schottische König verwendete alle Sorgfalt darauf, im Takt zuzuschlagen, und sein Gegner Macbeth wartete geduldig auf die Parade, bevor er zum Gegenangriff ansetzte.
Miss Elsworthy, der die Rolle der Lady Macbeth anvertraut war, wirkte einfacher und zurückhaltender; sie war natürlich inmitten all der romantischen Übersteigerungen ihrer Gefährten. Die Chöre operierten mit ziemlicher Genauigkeit, die drei Hexen stießen ein schauerliches Geheule aus, untermalt mit der Musik von Locke, deren prächtige Farbigkeit Jonathan schätzte.
Die ganz einfach gemalte und aufgebaute Bühnendekoration wechselte nach jeder Szene sehr schnell; Jacques begeisterte sich für einige Landschaften Schottlands in der Umgebung von Inverness; die Erinnerungen an seine Reise verliehen diesen Bildern einen noch größeren Wert.
Hielten sich die Schauspieler an Shakespeares ursprünglichen Text oder nicht? Paßten sie die realistische Ungeniertheit des Dichters den englischen Konventionen an, oder spielten sie ihn in seiner herrlichen Grobheit? Eine schwer zu entscheidende Frage, die Jacques lebhaft beschäftigte; aus Übersetzungen kannte er
Macbeth
sehr gut, im französischen Theater war er nämlich immer lückenhaft und verstümmelt. Deshalb machte er Jonathan auf die berühmte Stelle im zweiten Akt aufmerksam, nach der Ermordung Duncans, wenn Macduff den Pförtner nach den drei Dingen fragt, die der Trunk befördert; doch mochte Jonathan auch im richtigen Augenblick alle Saiten seines Fassungsvermögens noch so sehr anspannen, er konnte nichts erlauschen; nach einer Antwort des braven Pförtners brach allerdings ein allgemeines Gelächter im Raume aus.
»Bravo!« rief Jacques. »Sie geben ihren großen Dichter getreu wieder! Sie stellen die Kunst über die Schamhaftigkeit! Bravo!«
»Das Anstößige, mein lieber Jacques, liegt nicht darin, etwas zu sagen, sondern etwas zu streichen; sie haben recht, diese würdigen Engländer, man muß Shakespeare getreu spielen oder die Finger von ihm lassen!«
Das große, schwach gespielte Drama wurde mäßig beklatscht, das Publikum ist in seinen Reaktionen übrigens sehr zurückhaltend. Der Montgomery-Walzer füllte die Pause, und niemand hörte zu, doch bald hob sich der Vorhang wieder für die Farce, die den Abend beschloß.
Gleich bei den ersten Szenen erkannte Jacques in
The First Night
den akkurat übersetzten
Vater der Anfängerin;
der Theaterdirektor spielte selbst mit viel Witz und Schwung den Achille Talma Dufard und erlaubte sich tausenderlei Erfindungen und Hinzufügungen zu seiner Rolle. Er sprach halb französisch, halb englisch und sogar italienisch; er zitierte sogar aus unerklärlichen Gründen den ersten Vers der
Georgica
von Vergil, und die beiden Freunde hätten sich vor
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