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Reise mit Hindernissen nach England und Schottland

Reise mit Hindernissen nach England und Schottland

Titel: Reise mit Hindernissen nach England und Schottland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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spazieren, bevor sie ihn ins Oberhaus mitnehmen, wo er sie in den Schlaf wiegt; im übrigen weckt ein Amtsdiener sie, wenn abgestimmt wird. Im Hyde Park trifft man bezaubernde Engländerinnen und für gewöhnlich mehr Frauen als Männer; das entspricht überdies dem allgemeinen Verhältnis, was in einer gar nicht so fernen Zukunft unweigerlich zum Ende Englands führen wird.
    Diese Bemerkung Jonathans gefiel Jacques.
    »Obendrein«, sagte er deshalb zu ihm, »ist die Anzahl der alten Jungfern unter diesen Inselbewohnern beachtlich, und wenn du dem launischen Einfall, eine reiche, ihres Zölibats überdrüssige Erbin zu ehelichen, nachgeben willst, so wird dich das vor keinerlei Schwierigkeiten stellen; du brauchst dir nur die Wappen anzusehen, die auf die Wagentüren der Equipagen gemalt sind. Jedesmal, wenn du eine Raute darauf erblickst, ist es das Zeichen einer zum Pflücken reifen Jungfer.«
    »Ich bin viel zu müde«, antwortete Jonathan, »und wir haben keine Zeit. Ich möchte mich gerne setzen.«
    »Auf keinen Fall! Marsch! Marsch! Sobald wir den Hyde Park hinter uns haben, nehmen wir ein Cab und fahren zum Abendessen in unsere kleine Taverne.«
    Das war weit weg, aber trotz aller Sorgfalt hatten sie auf ihrem Spazierweg nicht das winzigste Restaurant erblicken können. Natürlich gab es
boarding houses
und
cating houses,
aber diese Einrichtungen wirkten so wenig munter, so wenig lebhaft, so geschlossen, daß es einem nicht in den Sinn kam, über die Schwelle zu treten.
    Das Cab, von einem überaus distinguierten Kutscher, einem echten englischen Peer gelenkt, fuhr über Piccadilly, eine breite Straße, die sich zwischen unregelmäßigen, niedrigen und oft schwarzen, aber Reichtum und Behaglichkeit ausstrahlenden Häusern dahinzieht. Jeder wohnt in seinem eigenen Heim mit einem großen Balkon, der auf einer Gitterfläche ruht; das kann bei den heutigen Reifröcken unliebsame Begleiterscheinungen haben, aber die Engländerinnen an ihren Fenstern oder, man muß es wohl sagen, die Engländer auf der Straße schauen nicht so genau hin. Es ist leicht zu begreifen, daß London mit diesem Prinzip von Stadthäusern und herrschaftlichen Wohnsitzen zwölftausend Straßen und zweihunderttausend Häuser zählt. Deshalb hat Horace Say auch mit Fug und Recht behauptet: London ist keine Stadt, sondern eine mit Häusern überzogene Provinz.
    In diesen vornehmen Vierteln von Piccadilly, Regent Street und Hay Market stößt man wieder auf das rege, jedoch etwas weniger geschäftige Leben der City. Jonathan machte es Spaß, ein paar Einzelheiten des englischen Lebens zu erhaschen, während sie durch die Straßen von Piccadilly und die stärker vom Handel geprägte Umgebung des Strand rollten: Der Postbote im roten Rock schlug mit dem Türklopfer zweimal kurz und kräftig gegen die kleinen Pforten, der vorbildliche Herr kündigte seine Ankunft durch fünf langsam wiederholte Schläge an, und die elegante Dame, die zu Besuch kam, machte ihre Anwesenheit durch sieben leichte und hastige Schläge deutlich. Auf diese Weise wußte jedermann im voraus, welche Art von Besuch und Besucher er zu erwarten hatte. Jacques war verwundert, welche Unmenge von Schuhmachern und Modegeschäften die Hauptstadt enthält, denn er zählte gleich mehrere Tausend von ihnen; auch die Anzahl der, im übrigen vollkommene Handelsfreiheit genießenden, Zigarrenverkäufer ist unübersehbar, doch ihre Zigarren taugen nichts; sie locken den Raucher mit verführerischen Sprüchen und Aushängen an, denen man mißtrauen sollte.
    Nachdem das Cab den Trafalgar Square überquert hatte, fuhr es am Palais des Herzogs von Northumberland vorüber, einem alten und charaktervollen angelsächsischen Bau; in einem dieser Salons hängt wahrscheinlich die famose
bank-note
von fünfhunderttausend Franc in ihrem Rahmen: Und der Herzog maßt sich an, so etwas als Meistergemälde auszugeben!
    Der Strand ist eine breite Geschäftsstraße, die das Parlamentsviertel mit der City verbindet. Hier herrscht ein lebhaftes Treiben, die Wände, die Häuser und sogar die Bürgersteige sind mit tausenderlei Anschlägen und Werbeplakaten bedeckt; Männer in Kegeln oder Pyramiden mit Anzeigen spazieren umher und stacheln durch ihre
great attraction
die Begierde des Publikums an. Das Reklamefieber greift in England wie eine Seuche um sich.
Zweiundvierzigstes Kapitel
Jacques und Jonathan gehen ins Theater
    Das Cab schlängelte sich, von der geschickten Hand des Coachman gelenkt, flink und

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