Reise mit Hindernissen nach England und Schottland
Die Läden quollen über von Frauen in großen Toiletten, die bei genauerem Hinsehen die Notwendigkeit der vierzigtausend Modegeschäfte in der englischen Hauptstadt erklärten.
Jacques graute es bei dem Gedanken, in der kleinen Taverne der City zu Abend zu essen, denn die Entfernung wurde durch Müdigkeit und Hunger noch verdreifacht. Doch zum Glück entdeckte er im Quadrant ein französisches Restaurant. Er schleppte seinen Freund in den Salon, und hier bekämpfte er zwei Stunden hindurch Hunger und Müdigkeit mit allen nur erdenklichen Mitteln; die Küche war französisch, aber mit einem kleinen englischen Einschlag.
Sechsundvierzigstes Kapitel
Besuch bei Madame Tussaud
»Tja«, meinte Jonathan beim Nachtisch, »nun sind wir wohl am Ende unserer famosen Reise angelangt!«
»Haben wir auch genug gesehen?« antwortete Jacques. »Wenn unsere Augen nicht zufrieden sind, dann stellen sie wahrhaftig große Ansprüche.«
»Mein guter Jacques, ich kann es kaum erwarten, wieder in Paris zu sein; ich gestehe es. Ich habe einen Punkt vollkommener Empfindungslosigkeit erreicht: Ich sehe nichts mehr, ich höre nichts mehr, ich nehme nichts mehr wahr, und während dieser letzten Tage sind meine Sinne fadenscheinig geworden.«
»Ich muß gestehen, daß du nicht ganz unrecht hast; aber streng dich noch ein wenig an.«
»Was soll das heißen? Gibt es noch etwas zu besichtigen?«
»Sei unbesorgt! Es ist der Abschluß, ich bin bei den letzten Zeilen meines Programms angelangt und lege großen Wert darauf, es getreulich einzuhalten, also los, komm!«
»Aber wo fuhrst du mich hin, allmächtige Götter!«
»Das wirst du schon sehen!«
»Eben dieses ›Das wirst du schon sehen!‹ macht mir angst!«
»Komm!«
»Na gut!«
Und die beiden müden Pilger griffen wieder zu ihrem Wanderstab. Noch einmal schritten sie durch diese Straßen, die um acht Uhr bereits im Dunkeln lagen. Jacques, der seinen Londoner Stadtplan genauestens studiert hatte, steuerte die Oxford Street an, in die er auf der linken Seite der Regent Street einbog; er folgte dieser breiten Verkehrsader bis zur Baker Street, ohne auf die Fragen seines Freundes zu antworten.
Als sie an einer protestantischen Kapelle vorüberkamen, konnte er dem Wunsch, sie zu betreten, nicht widerstehen, doch er versicherte Jonathan sogleich, dies wäre nicht das Ziel ihres Spaziergangs.
Die nur schwach beleuchtete Kapelle wirkte kahl und trostlos, hier und da saßen verstreut ein paar Gläubige auf den Holzbänken und schienen in ein regloses Schweigen versunken zu sein; ganz hinten, auf ein Stehpult gestützt, das eine kleine Lampe erhellte, las der Pfarrer mit lauter Stimme aus der Bibel. Diese mit einem gleichförmigen und ernsten Tonfall vorgetragenen Verse hallten in dem düsteren Raum mit einem schauerlichen Klang wider; der kalte Puritanismus ließ alle Sinne erstarren und schlich sich bis ins Knochenmark.
»Gehen wir«, sagte Jacques.
»Wir hätten erst gar nicht hineingehen sollen!«
Ein paar Schritte weiter, in der Baker Street, erregte ein strahlend erleuchteter Portalvorbau die Aufmerksamkeit der Passanten. Jacques hielt darauf zu und sagte:
»Hier ist es! Würdest du die Freundlichkeit besitzen, zwei Shilling aus deiner Tasche zu ziehen.«
Jonathan gehorchte und erhielt dafür zwei Eintrittskarten, mit denen er einen in blendendes Licht getauchten Salon betreten durfte.
»Wo sind wir?«
»Bei Madame Tussaud, der Enkelin des berühmten Curtius!«
»Was? Ein Wachsfigurenkabinett!«
»Nein! Ein Museum, aber ein Museum, wie du noch keines gesehen hast: Mach die Augen ein letztes Mal auf und schau!«
In den Salons drängte sich eine unübersehbare Menschenmenge, und ohne die auffallenden Kostüme wäre es oft schwierig gewesen, die Besucher von den Besuchten zu unterscheiden.
Hier waren in Lebensgröße alte und moderne Abbilder vereint; der englische Hof zeigte sich in Prunkgewändern, Königinnen, Prinzessinnen, Herzoginnen, alle erlauchten Größen waren in den unterschiedlichsten Posen der Unterhaltung vertreten; Orden, Bänder, Kreuze, die gesamte Archäologie der Auszeichnungen glänzte auf den Brüsten, während in den Haaren der Königinnen und an den Degenknäufen der Könige die Diamanten funkelten. Der französische Hof war vollzählig versammelt, zwei stattliche Salons reichten kaum aus, um dieses Gedränge von Herrschern und bedeutenden Feldherren zu fassen; die illustre Versammlung der Könige Napoleons war eine Bagatelle neben dieser Schar
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