Reise mit Hindernissen nach England und Schottland
gekrönter Häupter.
Diese verschiedenen Persönlichkeiten nahmen die Mitte der Salons ein, während in den Fensternischen und auf den Podesten entlang der Wände die Ahnengalerie des englischen Hofes thronte und paradierte. Hier glänzte der enorme Heinrich VIII., umgeben von seinen sechs Frauen: Catherine d’Aragon, Anne Boleyn, Jane Seymour, Anna von Kleve, Catherine Howard und Catherine Parr; dieser gigantische Schlächter bot inmitten seiner unglücklichen Opfer einen verabscheuenswürdigen Anblick. Ein paar Schritte weiter war Maria Stuart im vollen Glanz ihrer Schönheit zu sehen, und die Perfektion dieser Arbeiten, dieser Meisterwerke aus Wachs war so unübertrefflich, daß die Wirklichkeit nicht verblüffender gewirkt hätte; die Schönheit der schottischen Königin übertraf alles, was selbst die lebhafteste Phantasie zu erträumen vermag.
Jacques und Jonathan bewegten sich mit einiger Mühe zwischen diesen beiden Menschenansammlungen aus Fleisch und aus Wachs; sie näherten sich einem funkelnagelneuen Garibaldi, der sich der öffentlichen Bewunderung zur Schau stellte, und nicht weit entfernt unterhielten sich William Pitt und Sheridan in aller Ruhe und mit der Gelassenheit englischer Grandseigneurs.
Jacques wollte den Namen eines besonders auffälligen Geistlichen erfahren, der in einem prächtigen Lehnsessel saß, und wandte sich deshalb an einen der Besucher, der ihn starr anblickte. Doch er bekam keine Antwort.
»Er hat mich nicht verstanden; Jonathan, wiederhol doch bitte meine Frage.«
Jonathan hatte nicht mehr Glück, und Jacques wollte gerade aufbrausen, als ihn das schallende Gelächter der Umstehenden zurückhielt. Sein Gesprächspartner war aus Wachs!
So weit geht die Vollkommenheit dieser Figuren; und mehrere Male wurden die Besucher in die Irre geführt, denn viele dieser Gestalten tragen moderne Kleidung, stehen einfach auf dem Parkettboden und haben sich sozusagen unter die Menschen gemischt, die um sie herumgehen. Jonathan dagegen ertappte sich dabei, daß er das Gesicht eines arglosen, aber höchst lebendigen Gentlemans, den er für einen Lokalhelden hielt, genau musterte und ihn dann auch noch in den Arm kniff!
Neben den beiden Haupträumen liegt ein ganz besonderes Museum für Gegenstände, die Napoleon gehört haben: Fast alle wurden auf dem Schlachtfeld von Waterloo eingesammelt, und hier steht auch der Wagen, in dem der Kaiser, besiegt durch Verrat, das Schlachtfeld verließ. Jeder Besucher, ob Mann, Frau, Kind oder Greis, machte es sich zur Pflicht, in diesen Wagen zu klettern und sich ein paar Augenblicke hinzusetzen; dann stiegen sie alle glücklich und stolz wieder aus. Es war eine endlose Prozession, der Jacques und Jonathan ihre Teilnahme verweigerten.
Siebenundvierzigstes Kapitel
Eine Guillotine im englischen Stil
»Bis jetzt«, sagte Jonathan, »war es recht interessant, aber das ist auch schon alles; ich kann nicht mehr! Nirgendwo eine Sitzgelegenheit! Stühle gibt es hier nur für diese Wachskerle!«
»Geduld, Jonathan; hol zwölf Pence aus deiner Tasche und folge mir.«
»Schon wieder!«
»Schon wieder! Aber …«
»Folge mir, sage ich dir, und dann bist du erlöst.«
Am äußersten Ende der beiden ersten Salons folgte noch ein dritter, vor dessen Eingangstür ein großes Gedränge herrschte. Dieser Salon war ein geräumiges Zimmer, mit dunklen Vorhängen bespannt und schwach beleuchtet.
Die beiden Freunde warfen einen kurzen Blick hinein und erschauderten: Zwei-oder dreihundert abgeschlagene Köpfe, symmetrisch in Fächern aufgereiht, stierten sie mit ihren unheimlichen Augen an. Jeder einzelne war sorgfältig präpariert, etikettiert und trug die gräßlichen Spuren von Frevel und Leiden. La Bocarmi, Lacenaire, Castaing, Papavoine, Peytel, Madame Lafarge, Bastide, Jorion, der Vatermörder Benoît, Palmer und Burk zeigten ihre schrecklichen Fratzen: Alle Nationen, Amerika, Frankreich, England hatten dieser grausigen Sammlung ihren Tribut an abgeschlagenen Köpfen geleistet, und die mit der Todesstrafe gesühnten Gewaltverbrechen kamen einem wieder in den Sinn und riefen einen befremdlichen Eindruck hervor.
In der Mitte des Raumes hauchte Marat, von der Hand Charlotte Cordays getroffen, in der Badewanne sein Leben aus und stellte eine gräßliche Wunde zur Schau, aus der noch immer Blut floß. Ein paar Schritte weiter steckte Fieschi seine Höllenmaschine in Brand, andere Verbrecher plauderten miteinander, und im Dunkeln verschmolzen Orsini und Pieri mit der
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